piwik no script img

DebatteEuropas Abgrund

Kommentar von Zafer Senocak

Mit seinen Initiativen wirbelt Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Szenerie auf. Es wäre höchste Zeit, mal über eine gesamteuropäische Mittelmeer-Politik nachzudenken.

A uf der europäischen Bühne ist ein Mann aufgetaucht, der große Pläne hat. Er hat sich selbst den Nimbus des Retters in Not verliehen. Energisch und entschlossen tritt er auf, Selbstzweifel hat er keine. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy - ist er der rechte Mann am rechten Ort, zur rechten Zeit? Eine Mittelmeerunion wolle er bauen, hat er angekündigt. So will er Staaten, die er nicht in der Union sehen möchte wie die Türkei, aber eben auch den südlichen Anrainern des Meeres einen Auffangbecken schaffen, mit Hilfe und nach dem Vorbild Europas.

Der Mann ist nicht so einer, der lange Konferenzen abhält, er nimmt die Dinge gerne in die Hand. So sehen wir ihn heute in Libyen tätig werden, in naher Zukunft wird er wahrscheinlich noch an anderen Orten der Region gesehen werden. Ein Mandat aus Brüssel hat er dafür nicht, aber er braucht auch kein solches. Denn für Nicolas Sarkozy besteht Europa aus Frankreich, und da, wo Frankreich nicht ist, ist auch kein Europa.

In Wirklichkeit verkörpert Sarkozy den Niedergang der Figur des visionären europäischen Staatsmanns. Dieser war der europäischen Idee verpflichtet, weil er die Interessen seiner Nation in ihr aufgehoben sah. Sarkozy dagegen versucht, Europa vor den Karren der Grande Nation zu spannen. Seine diplomatischen Schachzüge sind durchsichtig und grobschlächtig. Europa, so scheint es, hat nur darauf gewartet, von Frankreich übernommen zu werden. Dieses Warten hat Europas Energien vergeudet, hat es schlaff werden lassen. Aber jetzt wird alles anders - jetzt ist endlich der richtige Franzose an der Macht, der die Zügel in der Hand hält.

Sarkozys Chuzpe verblüfft manchen, aber dieses Raunen und Staunen ist nur ein Ausdruck der Visionsarmut. Was haben die Bürodiener Europas sonst schon zu bieten? Weiter wursteln wie bislang? Endlose Nachtsitzungen, unpopuläre Entscheidungen, die man mit magischen Formeln vor dem Wahlvolk zu kaschieren sucht? Kompromisse, die längst Europa zu etwas anderem gemacht haben als einst vorgesehen?

Ja, Sarkozy kommt zur rechten Zeit - und das erst macht diesen ungehobelten Politiker wirklich gefährlich. Nicht weil er etwas wirklich Gefährliches im Sinne hätte, sondern weil fast alles, was er anfasst, weitreichende Konsequenzen mit sich bringt - solche, die er selbst kaum zu überblicken scheint. Sarkozys Kopfwelt mit ihren egomanischen Kurzschlüssen und grell leuchtenden Verzückungen produziert ein Europa, Verzeihung "Frankreich", das das Libyen des Diktators Gaddafi umarmt und eine sich mühsam an Europa herantastende Türkei zurückweist - nur um später den Türken zu erklären, sie sollen sich doch mit den Nordafrikanern zusammen tun (geografisch sehr logisch), weil Kleinasien ja bekanntlich nicht in Europa liege.

Nein, Sarkozy geht es weder um Europa noch um die Türkei. Ihm geht es um scheinbare französische Nationalinteressen, die er mit dem Etikett der Modernisierung wertvoller zu machen versucht, als sie es in Wirklichkeit sind. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um einen Etikettenschwindel, denn bei fast allen Vorstößen Sarkozys geht es um alte, ja uralte Hüte. Es geht zum Beispiel um Frankreichs Hegemonialpolitik in Nordafrika. Und es geht darum, in der Industrie- und Währungspolitik Staatskontrolle und Zentralismus nicht etwa abzubauen, sondern deren Bestand zu sichern. Das sind längst verlorene Schlachten, in die sich der starrsinnige Mann da verrennt.

Nein, mit Sarkozy hat Kanzlerin Merkel keinen Konkurrenten in gemeinsamer Sache bekommen, sondern einen ernstzunehmenden Gegner. In der derzeitigen nervösen, krisenanfälligen Verfassung Europas kann wahrscheinlich nur sie allein ihn aufhalten und somit größeres Unheil vom Kontinent abwenden. Dies kann nicht gelingen, indem man Sarkozy nur verbal widerspricht oder gar, wie im Fall der Türkeipolitik, mehr oder weniger offen zustimmt. Es gilt eine langfristig tragfähige Alternative zu seinen vielen Initiativen aufzubauen.

Europa braucht eine glaubwürdige, gut durchdachte Mittelmeerpolitik. Schaut man auf den Globus, dann ist das Mittelmeer nur ein kleines Binnenmeer. Aber seine Ufer sind dicht besiedelt, und ein Wohlstands-, ja Zivilisationsgefälle schafft mittendurch eine harte Grenze, die man gerne unpassierbar machen würde für die verwahrlosten Massen aus Afrika. Doch die Ordnung des Nordens wird zunehmend herausgefordert. Im Süden herrscht Chaos - dort organisiert sich bestenfalls eine feindliche, kriegslüsterne, gewaltbereite Ordnung im Namen des Islam.

Es ist also höchste Zeit, endlich über eine echte europäische Mittelmeerpolitik nachzudenken, die diesen Namen verdient. Zaghafte Versuche gibt es ja schon: Die blühende katalanische Metropole "Barcelona" soll Heimstatt und Ausgangspunkt einer Idee sein, die friedliche und wirtschaftlich prosperierende Koexistenz am Mittelmeer voranbringen soll. Schön die Formulierungen, mäßig jedoch der Erfolg bislang. Nordafrika ist eben nicht ein Teil Europas, sondern bestenfalls eine Übergangszone, die man vor dem Ansturm aus Schwarzafrika aufrüsten will. Europa geht es bislang nicht darum, Demokratie zu exportieren, sondern in erster Linie um die Sicherung eigener Hoheitsgebiete. Das sind Ausbesserungsarbeiten an der Festung Europa.

Dann gibt es noch die Beitrittsgespräche mit der Türkei, die auf der Stelle treten, jegliche Euphorie vermissen lassen und mit einer gehörigen Portion melancholischer Niedergangsrhetorik begleitet werden. Für nicht wenige ist der Beitritt der Türkei gleichbedeutend mit dem Untergang des Abendlandes, also Europas. Eine demokratische in das Wertesystem Europas eingebundene Türkei - denn nur eine solche Türkei kann beitreten - soll den Untergang Europas herbeiführen? Welches Europa geht da eigentlich unter?

Eine eindeutige Beitrittsoption für die Türkei kann nur der Ausgangspunkt einer visionären Mittelmeerpolitik sein. Nur eine auf demokratischen Werten aufbauende, wertorientierte Politik verspricht Erfolg in einer Region, die auf der Suche nach einer funktionsfähigen Werteordnung ist. Die Auseinandersetzung findet längst nicht mehr nur zwischen Armen und Reichen statt, sondern zwischen einer islamischen Tradition, die immer mehr die Züge einer heilsversprechenden, totalitären Ideologie annimmt, und der offenen Gesellschaft, die nur auf Fleiß, Innovation und freien, selbstbewussten Individuen aufbauen kann.

Für was aber steht Sarkozys Europa? Atomkraftwerke und moderne Rüstungsgüter in Libyen mögen die gebeutelte französische Wirtschaft vorübergehend aufpäppeln, doch sie sind nicht die Geburtshelfer der libyschen Demokratie. Vielmehr erinnern sie an die hemmungslose und moralisch indifferente französische Exportpolitik gegenüber dem Irak Saddam Husseins in den Achtzigerjahren. Das Resultat ist bekannt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!