DIE KLEINE WORTKUNDE

MÖGLICHERWEISE gibt es eine jüdische Weltverschwörung. Möglicherweise hat der Irak Massenvernichtungswaffen. Möglicherweise ist die alte Frau eine Hexe.

Der Konjunktiv ist der kleine Bruder der Behauptung: Wer sich außerstande sieht, Anschuldigungen glaubhaft zu begründen oder zu belegen, kann ganz unschuldig fragen, ob in Fall A nicht möglicherweise B passiert, wenn C eventuell tun würde, was D vielleicht getan hat – nur mal angenommen.

Schon ist der Schwarze Peter indirekt benannt, wie im Fall der Youtube-Sperrtafel „Dieses Video ist in Deutschland nicht verfügbar, weil es möglicherweise Musik enthält, für die die erforderlichen Musikrechte von Gema nicht eingeräumt wurden“, gegen welche die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (kurz: Gema) nun laut Wirtschaftwoche eine Unterlassungsklage eingereicht hat. Der Text sei reine Stimmungsmache, sagte Gema-Chef Harald Heker dem Magazin.

„Möglicherweise“ (vielleicht, denkbar) beinhaltet „möglich“, das aus dem mittelhochdeutschen „mügelîch“ (was geschehen kann) stammt und mit „Vermögen“ (Macht, Einfluss) verwandt ist, das auf das althochdeutsche „firmugan“ zurückgeht. „Weise“ kommt aus dem althochdeutschen „wîsa“ (Art, Erscheinung) aus dem achten Jahrhundert. Die Wurzeln sind vermutlich ähnliche wie bei „wissen“, zum Beispiel das altindische „veda“ (er/sie/es weiß).

Der Konjunktiv „möglicherweise“ wird in der Politik selten aus Mangel an Informationen verwendet; denn wer ihn ausspricht, weiß genau, was er damit sagen will, und nutzt seine Macht aus, um die öffentliche Meinung mit seiner Vermutung zu beeinflussen. Man sollte jedoch nicht nur mutmaßen, sondern auch wissen, dass Youtube die Videos deshalb sperrt, weil die Plattform nicht auf die hohen Geldforderungen der Gema eingehen will. Es lohnt sich also, wenn jemand davon spricht, „möglicherweise“ sei etwas so und so, sich zu fragen, ob dies – möglicherweise – nur eine Manipulation ist. ERIK WENK