Nordrhein-Westfalen: Gesamtschul-Stress reloaded

CDU und SPD legen einen alten Streit neu auf. Elternverhetzungen und Wahkkampfgedröhne belasten die neue Gemeinschaftsschule.

"Kinder gehören nicht in Schubladen", finden NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft und Generalsekretär Michael Groschek Bild: dpa

Wenn Kinder in Bielefeld, in Düsseldorf oder Essen demnächst in ihre Schule kommen, werden sie auf ein schräges Plakat stoßen. "Die SPD will diese Schule schließen", prangt darauf in großen roten Lettern. Alle Haupt- und Realschulen sowie die Gymnasien sollen mit dem Untergangsetikett gebrandmarkt werden, zusammen knapp 2.000 Schulen. Anbringen will sie die Landes-CDU, die wunderlicherweise dazu schreibt: "NRW - Land der neuen Chancen."

Die Union und ihr forscher Generalsekretär Hendrik Wüst nennen ihren Kampfeinsatz die größte Kampagne seit der Wahl 2005. Hunderttausende Flugblätter will sie unters Volk schmeißen. Und das obwohl die nächsten Wahlen an Rhein und Ruhr weit weit weg sind. Erst im Frühjahr 2010 dürfen die Bürger wieder an die Urnen.

Was regt die regierenden CDU so auf? Ein kleiner Sonderparteitag ist es, bei dem die wundgeschlagene Landes-SPD die flächendeckende Einführung der Gemeinschaftsschule beschloss - sollte sie wieder an die Regierung kommen.

Die Gemeinschaftsschule ist die Zusammenführung der drei Schulformen Haupt-, Realschule und Gymnasium. Die SPD will sie, um jedem Kind eine Chance zu geben. Die CDU nennt die Gemeinschaftsschule dagegen "Sozialistische Einheitsschule" - und ruft damit einen alten Gassenhauer wach, der schon einmal halb Nordrhein-Westfalen auf die Palme gebracht hat. In den 70ern, ging es um die Einführung der kooperativen Gesamtschule, die schließlich durch ein Volksbegehren gestoppt wurde.

Die beiden Parteien hacken schon wieder lustvoll aufeinander ein. Die SPD fordert ein "Ende der Schlammmschlacht". Die CDU hält dagegen: "Wir wollen keinen Schulkrieg, aber wir werden das dreigliedrige Schulsystem verteidigen". Auch die üblichen Kontrahenten im Schulstreit laufen sich bereits warm. Der Verband Bildung und Erziehung feiert den Vorschlag der SPD als "Gymnasium für alle". Peter Silbernagel. Landeschef des Philologenverbandes, sagt zur Gemeinschaftsschule nur: "Jeder Mensch hat ein Recht auf Ungleichbehandlung". Kein Wunder, die Philologen sind der Verband der Gymnasiallehrer, die sehen ihren alles andere als egalitären Schultyp in Gefahr.

Das ist übertrieben, denn bis morgen wird in NRW kein Gymnasium abgerissen werden. Dazu wäre etwa die Änderung der Landesverfassung nötig, die das dreigliedrige Schulsystem vorsieht. Aber die Ängste der Gymnasien sind auch nicht ganz unbegründet. Die SPD hat mit einem jakobinischen Wortkampf gegen die Gymnasien dem sinnvollen Projekt einer Gemeinschaftsschule keinen Gefallen getan. SPD-Landeschefin Hannelore Kraft soll sogar kirchlichen Gymnasien mit dem Garaus angedroht haben. Dabei hat ihre Partei nur eine schrittweise Einführung der Gemeinschaftsschule beschlossen, über deren Beschaffenheit zudem Eltern und Schulträger mitreden dürfen. Aber Kraft-Sätze wie "Die SPD will keine privaten Schulen schleifen" rufen kein Vertrauen hervor.

Dabei kann die Debatte über die Gemeinschaftsschule mehr Gelassenheit vertragen. Die integrierende Schulform mit völlig neuem pädagogischen Profil ist derzeit in aller Munde. Auf der Insel Fehmarn in Schleswig-Holstein eröffnete vorgestern die erste Gemeinschaftsschule der Republik. Auch dort gab es zunächst mächtig Stress, aber eine Bürgerbefragung ergab eine gute Mehrheit für die Inselschule.

Das hat nicht nur pädagogische Gründe, Fehmarn hat schlicht nicht genug Kinder, um auf der Insel Haupt-, Realschule und Gymnasium nebeneinander zu betreiben. Also entschied man sich zur Integration, sonst hätten die Fehmarner Pennäler weit reisen müssen für ein Abitur. Eine Situation, die in vielen ländlichen Gebieten durchaus ähnlich ist. Es gibt bereits Kommunen in NRW, die in Elternentscheiden aus dem gleichen Grund für Gemeinschaftsschulen votiert haben - obwohl es die Schulform noch gar nicht gibt.

Zu verstehen ist der neue Schulstreit nur durch den alten von 1978. Damals hatte der Kultusminster Jürgen Girgensohn (SPD) versucht, die sogenannte "Koop-Schule" anstelle des dreigliedrigen Schulsystems in Nordrhein-Westfalen zu setzen - gegen den erbitterten Widerstand der Opposition und weiter Teile der Bevölkerung. Ein von der CDU initiiertes Volksbegehren verhinderte das entsprechende Schulgesetz. 3,6 Millionen Menschen unterschrieben bei der Initiative "Stoppt das Schulchaos" seine Schulpläne.

Drei Jahre später gelang es den Sozialdemokraten in einem erneuten Anlauf, die Gesamtschule als Angebot neben dem dreigliedrigen Schulsystem einzuführen. Dieser halbierte Umbau gilt unter Schulforschern als eine Ursache für die schlechten Pisaergebnisse in NRW. Denn es brachte dem Land ein viergliedriges Schulsystem mit kleinen Hauptschulen als Restschulen. Obendrein raubte es den Gesamtschulen die Gymnasiasten.

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