Al-Qaida im Irak: Bedrohung oder Mythos?

Bin Ladens Truppe ist nicht die größte, aber eine einflussreiche Gruppe im Irak. Möglich wird sie erst, weil die US-Armee den Irak besetzt hält.

Durch Al-Qaida zerstörte Moschee im Irak. Bild: dpa

KAIRO taz Bei einer Rede auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Charleston zur Lage im Irak erwähnte Präsident George Bush den Namen "al-Qaida" sage und schreibe 95-mal. Aber selten wird nachgefragt, wie entscheidend die Rolle al-Qaidas im Irak wirklich ist.

Die Instabilität im Irak hat viele Väter. Selbst unter den sunnitischen Aufständischen hat al-Qaida längst nicht mehr das Monopol auf die brutalsten und blutigsten Attentate. Die sunnitische Guerilla besteht aus einem komplizierten Geflecht aus Vertretern des alten Saddam-Regimes, Exoffizieren der irakischen Armee und islamischen Dschihad-Kämpfern.

Wie groß al-Qaida im Irak ist, endet oft genug als Ratespiel. In einem Artikel der Zeitschrift Washington Monthly argumentiert der amerikanische Journalist Andrew Tilghman, dass der Fokus auf al-Qaida nur wenig tatsächlich bewiesene Grundlagen besitzt. Er zitiert einen Aufklärungsoffizier, der für das Pentagon im Irak gearbeitet hat. Selten sei klar gewesen, wer wirklich hinter den Anschlägen steckte. "Es war einer gängigsten Witze in unserem Büro, sarkastisch alles al-Qaida in die Schuhe zu schieben."

Dieser Al-Qaida-Fokus reproduziere und verstärke sich selbst, schreibt Tilghman. "Wenn das Weiße Haus die Devise herausgibt, sich auf al-Qaida im Irak zu konzentrieren, dann antwortet die US-Bürokratie darauf, indem sie noch mehr Instrumente schafft, um mehr Indizien für al-Qaidas Einfluss zu finden. Je mehr daran arbeiten, umso mehr Indizien werden dafür auch gefunden, dass al-Qaida hinter jeder Ecke lauert."

In Wirklichkeit kennt niemand die wahre Größenordnung al-Qaidas im Irak. Es gibt stets nur Annäherungen. Eine Studie des US-gesponserten Radiosenders Radio Free Europe hat die Internetauftritte von elf sunnitischen Guerillagruppen untersucht. Ergebnis: Al-Qaida bezichtigte sich für zehn Prozent der Anschläge auf irakische Sicherheitskräfte und schiitische Milizen und für vier Prozent der Attacken auf US-Soldaten. Die New York Times versuchte es im August anders. Laut Quellen aus dem US-Militär sollen 1.800 der 24.500 Gefangen in US-Gewahrsam im Irak Verbindungen zu al-Qaida nachgesagt werden - das sind sieben Prozent.

Auf 1.000 Mann schätzt man im Büro für Geheimdienstaufklärung und Forschung des US-Außenministeriums die Zahl von aktiven Al-Qaida-Kämpfern, bei einer Größenordnung der sunnitischen Guerilla von 20.000 bis 30.000. Irakische Geheimdienstquellen sprechen gar von 200.000 sunnitischen Aufständischen.

Ein Teil der Wahrheit dürfte sein, dass es vielen Parteien nützt, al-Qaida als Verantwortliche für das Chaos im Irak hinzustellen. Die US-Regierung kann damit das Verbleiben ihrer Truppen rechtfertigen. Die irakische Al-Maliki-Regierung vermarktet ihre angeschlagene Existenz als einen Teil des globalen Antiterrorkampfes. Bin Laden schließlich nimmt gerne die gesamte irakische Guerilla für sich in Anspruch.

Ein Phantom ist al-Qaida im Irak dennoch nicht. Es ist eine von mehreren sunnitischen Guerillagruppen, die die US-Besatzung und die schiitisch dominierte Regierung als gemeinsamen Gegner ansehen. Dabei konkurrieren sie auch durchaus miteinander, nicht nur um die spektakulärsten Aktionen, sondern auch um die Visionen für einen zukünftigen Irak. Beileibe nicht alle können sich mit einem islamischen Staat al-Qaida anfreunden. Al-Qaida ist die radikalste, aber durchaus nicht die einflussreichste Gruppierung.

Das Argument der US-Regierung, dass nur eine verlängerte US-Truppenpräsenz sicherstellt, dass der Irak nicht al-Qaida in die Hände fällt, lässt sich durchaus auch auf den Kopf stellen: Ohne gemeinsamen Gegner würden die Allianzen der sunnitischen Guerilla schnell auseinanderbrechen. Es wären dann möglicherweise die großen nationalistischen Guerillagruppierungen, in der alten säkularen Tradition des Irak, die sich des "Problems al-Qaida« militärisch und gesellschaftlich annehmen würden. Bis dahin gilt die Schlussfolgerung Tilghmans: "Die fortgesetzte US-Besatzung des Irak ist und bleibt al-Qaidas wichtigstes Rekrutierungsinstrument".

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