Kolumne Parallelgesellschaften: Wer den Knieschuss verdient
Renitente DDR-Rentner in der U-Bahn - oder doch lieber eine RAF-Gedenkveranstaltung? Entscheiden Sie selbst.
Jan Feddersen (50) ist Autor und Redakteur. Besonders für die Ressorts taz.mag und tazzwei.
Neulich in der U-Bahn, sehr früh am Morgen, die Linie passiert sowohl das einstige Territorium der DDR-Hauptstadt als auch Westberlin. Ein Mann redet auf einen Lockenkopf ein. "Was, wir hatten keine Demokratie? Wissen Sie eigentlich, dass Wohnraum zerstört wird, all die schönen Platten? Und dass wir nicht gearbeitet hätten, nicht effizient. Ha! Ich wusste nicht, wohin mit meinen Überstunden. Und all die Kinder, die fröhlich durch die Straße sangen!" Bewunderungswürdiger Zuhörer. Nickt hin und wieder, möglich, dass seine Mama ihm irgendwann verboten hat, ungebetenes Angelabertwerden schroff abzubügeln.
Der Tribun dieser unendlichen Minuten fuchtelte jetzt mit seinem Gehstock. War doch klar, dass die uns plattmachen. Wer auch immer die sein mag dieser Mann müsste ein paar aufs Maul haben, damit er sein trostloses Greinen und Geifern für sich behält. Er kriegt doch sowieso kein Recht. Arme DDR jedenfalls. Hats doch nicht verdient, dass man sie über den grünen Klee so lobt. Da war ja selbst eine Margot Honecker reflektierter in eigener Sache: War ja nicht alles in trockenen Tüchern, ehe die imperialistischen Blutsauger alles, wirklich alles dem Erdboden gleichmachten, wie der Meckerer, mit seiner Stimme im Diskant, meinte.
Aber so sind die Menschen, deren Zukunft irgendwie schon sehr weit zurückliegt. Wie vor kurzem in einem Café in einer westdeutschen Großstadt, wo abends zu einer Lesung geladen war, da sollte ein Regisseur sprechen, der einen Film über die RAF gemacht hat. Und alle, anscheinend alle, die früher linksradikal mal auf der Höhe ihrer Zeit waren, waren gekommen. Und das Bizarre: Sie waren durch nichts zu unterscheiden von den Horden älterer Menschen, die man am Wochenende am Ostseestrand von Grömitz so sieht, in Weinschenken an der Mosel nach einem Spaziergang durch die Rebhügel, ehe es ans Klößefressen geht.
Beige Mäntel auch diese Frauen und Männer, rentnerhafte Oberbekleidung, die keine strahlende Farbe hatte. Einer trug einen Pullunder in Burgunderrot. Bei etwas genauerem Blick erkannte man, dass sie nur selten diese typischen Altenbrillen trugen, solche, die die Tränensäcke umschließen und die schlackernden Lidfalten. Und wie sie den Regisseur schließlich piesackten. Ganz der alte Ton. Das Schwein! Hat mit seinen Bildern den Holger verraten. Und beim Bier waren dann wieder die alten Kameraden zusammen. War von der Brigitte die Rede und von der Ulrike, von Gudrun und Andreas, von Holger und, klar, dem Christian. Eine Pensionsrunde von vorgestern, die sich den giftigen Kommandantenklang von einst bewahrt hatte - das war doch mal ein feiner Kontrapunkt zu den vergilbten und Vergebliches signalisierenden Textilien.
Ich hielt mich zurück und wollte auch nicht so tun, als sei ich mit den Männern und Frauen der RAF-Logen irgendwie mal per Du gewesen. Einer, mit dem Schoppen Wein in der Hand, sagte, na, der und der, der habe auch mal einen Knieschuss verdient, das sei doch humaner als ein Erschossenwerden. Schweine, die dann auf ewig gehbehindert seien, litten auch mehr. Ernsthaft - das war das Argument des Abends. Eine Selbstkritik echter Sympathisanten von einst, die darauf hinauslief, dass das Töten nicht hinreichend Pein bewirkt.
Wo diese Veranstaltung gegeben wurde, möchte ich, ja, feige, nicht sagen. Ich fürchte, sie könnten mich erkennen und sich überlegen, wie man mit Feiglingen oder Verrätern wie mir umgeht. Wie ja überhaupt all die Komitees früher auch in der Szene (sprich: ßien) insoweit Gefolgschaft erzwangen, weil sie immer drohten, nicht nur mit Schuldgefühlen ("Die Ulrike sitzt für uns im Knast"), sondern per Rollkommando auch im militant buchstäblichen Sinn.
Andererseits ist meine Angst unnötig, irgendwie. Sind doch alle wirklich nicht mehr die Jüngsten. So wie der Mann mit dem Die-DDR-ist-tot-Kummer. Bald sterben sie. Auch die von der RAF. Man möchte nur noch wissen: Was hatten sie sich persönlich von all dem versprochen, was im Alter zu reden gelohnt hätte?
Fragen zur RAF-Loge? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH
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