Kommentar Venezuela: Geschwätziger Friedensengel
Venezuelas Präsident Chávez steht vor seiner größten außenpolitischen Bewährungsprobe: eine Lösung in einem jahrzehntelangen Konflikt zu erreichen.
V enezuelas Präsident Hugo Chávez steht vor seiner größten außenpolitischen Bewährungsprobe. Nachdem der Streit der kolumbianischen Kriegsparteien um einen möglichen Gefangenenaustausch immer blutiger geworden ist, haben sie Chávez als Vermittler bereits vor zwei Wochen akzeptiert. Dass sich der Hardliner Álvaro Uribe und die ebenso sturen Farc-Guerilleros darauf eingelassen haben, ließ sogar auf eine Lösung des jahrzehntelangen Konflikts in dem Andenstaat hoffen.
Gerhard Dilger ist Lateinamerika-Korrespondent der taz.
Auch viele Kolumbianer, die keine Chávez-Fans sind, sahen die letzte Chance gekommen, noch vor Ende von Uribes Amtszeit in drei Jahren wenigstens zu einem "humanitären Abkommen" im Interesse der Kriegsgefangenen und ihrer Angehörigen zu kommen. Doch diese bleiben einem makabren Wechselbad der Gefühle ausgesetzt: Am Samstag setzte Chávez seinen Auftrag durch übermütige Geschwätzigkeit aufs Spiel und forderte Uribe zum zweiten Mal öffentlich dazu auf, ihm ein Treffen mit Farc-Chef Manuel Marulanda in Kolumbien zu ermöglichen. Und das, obwohl sich die Rebellen - anders als der rechte Präsident - bis dahin kein einziges Zugeständnis hatten abringen lassen.
Tags darauf wurden ausgewählte Medien mit der Videobotschaft der Farc an Chávez versorgt. Mit ihrer Bereitschaft, ihn in Caracas zu treffen, haben die Aufständischen jetzt einen ersten Schritt aus ihrer selbst gewählten Isolation getan. Wenn Chávez allerdings tatsächlich den Friedenswillen der Urwaldkrieger aus nächster Nähe sondieren will, täte er gut daran, möglichst bald auf stille Diplomatie zu setzen. Denn in Kolumbien und in den USA gibt es nur allzu viele Kräfte, die ein rasches Scheitern seiner Vermittlungsversuchs wünschen.
Chávez historische Chance besteht darin, bei den Farc den Primat des Militärischen ins Wanken zu bringen - auf den ersten Blick eine schwierige Aufgabe für den Exmilitär, der selbst allzu oft in Schwarz-Weiß-Kategorien denkt. Aber es gibt auch den pragmatischen Chávez, der zudem sein lateinamerikanisches Sendungsbewusstsein mit einer Starrolle als Friedensengel krönen könnte. Hoffentlich setzt sich Letzterer durch.
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