Kreuzberg: Bolzverbot im Ökokiez
Nach Beschwerden über Lärm wurde der Bolzplatz am Chamissoplatz geschlossen. Jetzt gibt es böses Blut. Ein runder Tisch soll helfen.
Eine Parkbank steht in lodernden Flammen, zwei, drei Meter hoch, unterlegt mit Rap-Musik. Aus der Ferne tauchen, passend zum Rhythmus der Musik, die Blaulichter von Polizei und Feuerwehr auf, um sich durch die Kreuzberger Nacht ihren Weg zum Bolzplatz am Chamissoplatz zu bahnen. Stolz stehen etwa 20 Jugendliche um ein Handy, auf dessen Display gerade dieser selbst geschnittene Video-Clip abläuft.
Natürlich sind sie alle nur "zufällig" an diesem Abend vorbeigekommen, um mit ihren Handys die Aktion der Feuerwehr zu filmen. Aber seit Ende August haben sie ein handfestes Problem. Nach Beschwerden aus der Nachbarschaft wurde ihr Bolzplatz, an dem sich Tag für Tag 50 bis 60 Kinder und Jugendliche getroffen haben, über Nacht vom Bezirksamt gesperrt - formal aus Lärmschutzgründen. Bis zu einem Zaunumbau ist der Platz zweifach vergittert und mit Eisenketten gesichert. Und die Kids hängen gelangweilt auf den Parkbänken vor ihrem Bolzplatz rum.
Deshalb versammelten sich gut 100 AnwohnerInnen am Dienstagabend zu einer öffentlichen Diskussion mit den verantwortlichen BezirkspolitikerInnen, insbesondere mit der von den Grünen aufgestellten Baustadträtin Jutta Kalepky.
Eingeladen hatte der Mieterrat Chamissoplatz und das nahe gelegene Jugendzentrum Wasserturm. Denn seit der Schließung des Bolzplatzes wird nicht mehr mit Bällen, sondern mit schwerer rhetorischer Artillerie aufeinander geschossen. Da hing vor gut einer Woche, bis es die Polizei entfernte, ein Transparent am Bolzplatz "Spießer nach Klein-Machnow und ins Tessin, wir können auch anders - 2. Juni, MG und RAF". Am Tag der Versammlung tauchte ein anonymes Flugblatt auf, in dem behauptet wird, dass sich am Bolzplatz "Tag für Tag eine Gruppe von türkisch-arabischen Kleinkriminellen mit islamfaschistischem Hintergrund trifft".
Die Jugendlichen schütteln darüber nur den Kopf. Sie bestätigen zwar gegenüber der taz, dass so ein Transparent da hing, "aber verstanden hat es keiner von uns". Doch dann macht sich ihre Empörung Luft: "Wegen einer Beschwerde sollen hier über 200 Kinder leiden?", fragen sie sich. Alle reden durcheinander: zehnjährige Mädchen mit einem eher deutschsprachigen Hintergrund und vierzehn- bis sechzehnjährige Jungs mit eher türkischem Hintergrund. Eine vermeintliche Beschwerdeführerin in der Nachbarschaft wird als "dreckige Hure" bezeichnet, daran schließt sich die Bemerkung an: "Weißt du, die kann es sich leisten, ihre zwei Kinder auf eine Privatschule zu schicken, und die Armen müssen nun jeden Tag Klavier üben, und da nervt sie unser Fußballspielen echt."
Sie wollen Straßenfußball spielen, nicht im Verein, weil "dies viel mehr Spaß macht". Dass sie auch Jüngere auf "ihren" Platz lassen müssen, sehen sie inzwischen ein. "Okay, wir machen auch Fehler", meint dazu einer ihrer Wortführer, "aber wenn sie den Platz wieder aufmachen, wird das alles anders". Sogar die Polizei nehmen sie eher auf ihrer Seite stehend wahr, die nur "wegen der Scheißgesetze etwas tun muss".
Tatsächlich argumentiert auch die Vertreterin des Bezirks, Baustadträtin Kalepky, auf der Versammlung in der Logik des Verwaltungsrechts. Sie habe seit Monaten mehrere Beschwerden über die Geräuschkulisse per Mail bis hin zu einem Anwaltsschreiben bekommen. "Dem müssen wir nachgehen und notfalls handeln", sagt sie und beschloss folglich die Schließung bis zur Instandsetzung des eigentlich mit besten schallschluckenden Materialien gebauten Platzes.
Ein neues Ballfangnetz werde bis Ende Dezember aufgebaut, aber danach werde der Platz nur noch bis 20 Uhr und nur für Jugendliche bis 16 Jahre offen sein. "Hat, wer sich beschwert, automatisch recht?", fragt Harald Georgii vom Mieterrat. Auch ist den meisten Anwesenden nicht einsichtig, warum bei Bolzplätzen ganz andere Lärmschutzgrenzen gelten sollen als beim Straßenverkehr.
Zwei Stunden lang lassen alle Seiten ihrer Wut freien Lauf, bis am Ende der Veranstaltung die übliche Kreuzberger Problemlösung folgt: Ein runder Tisch, möglichst auch mit Polizei, soll eingerichtet und Streetworker sollen vorbeigeschickt werden.
Doch bei der Forderung, den Bolzplatz bis zum Beginn der Bauarbeiten wieder zu öffnen, ist aufseiten der Verwaltung keine Bewegung in Sicht. "Was sollen denn die Jugendlichen bis dahin tun?", fragt eine Frau leicht verzweifelt in den Raum hinein. Schweigen. Nur aus der Ecke der etwa 20 Jugendlichen kommt ein deutlicher Vorschlag: "Autos anzünden!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!