Charmanter Maulheld

BÜHNE Sean O’Caseys „Juno und der Pfau“ im Deutschen Theater punktet mit trashiger Prekariatsatmosphäre – einen echten Absturz aber wollte Milan Peschel in seiner Slapstick-reichen Inszenierung doch nicht riskieren

Am Situationswitz der Figuren hangelt sich Peschels Inszenierung voran

VON SIMONE KAEMPF

Man kann von Jack Boyle eine bestimmte Art Widerstand lernen: Wittert er Arbeit, dann quälen ihn Beinschmerzen. Erinnert ihn seine Frau an die hohen Schulden, braucht er erst mal eine Pause. Und wenn er dann auf dem Sofa liegt, sind Arbeit, Finanzen und Familiensorgen weit weg und vergessen. Draußen herrscht Bürgerkrieg, davon ist immer wieder die Rede in dem Stück, aber in der Mietwohnung, in der sich Nachbarn und Freunde die Klinke in die Hand geben, ist der Maulheld Boyle so etwas wie ein verbaler Widerstandskämpfer gegen alles und jeden. Quicklebendig, wenn es in den Pub geht. Nie um eine Meinung verlegen. Zu Notlügen bereit, die er stets charmant verpackt.

Pfau wird er von seiner Frau genannt, ihr Spitzname ist Juno. Deswegen hat der irische Dramatiker Sean O’Casey sein in den frühen 1920er Jahren geschriebenes Stück „Juno und der Pfau“ genannt. Zwei familiäre Kraftfiguren stehen im Zentrum, und die sind Milan Peschel in seiner Inszenierung am Deutschen Theater um einiges wichtiger als die sozialen Umstände drumherum. Am Dienstag hatte sie Premiere.

Armut, Krieg, Mord werden schnell abgehandelt. Die Tochter durchblättert stichwortsuchend eine Zeitung. Die zerknüllten Seiten landen im Kachelofen, der auf der Bühne steht und kräftig eingeheizt Rauch ausstößt. Der Ofen dient auch für weitere Scherze, er wird mal erklettert, oder Mutter Juno lässt beim Aufräumen die Bierflaschen im Aschefach verschwinden.

Regisseur Milan Peschel treibt seine Figuren bis zur Verausgabung zu Komik und Slapstick an. Und auch zum Schreien, Brüllen und wieder zur Aneinanderreihung von Witzen, die sich an diesem Abend im Deutschen Theater aber leider doch nicht überschlagen wollen.

Dabei bietet der Stoff eigentlich einen wunderbaren Plot: Ein dubioser Testamentsvollstrecker taucht auf, der ein Erbe ankündigt. Das Geld ist noch nicht da, aber Boyle wird schon großzügig, kauft Möbel oder gönnt sich Maßanzüge, alles auf Pump. Am Ende sitzt die Familie noch tiefer in der Patsche, denn das Testament ist ungültig. Tochter Mary wird schwanger sitzen gelassen, der Sohn erschossen, weil er in den Kriegswirren zum Verräter wurde.

Hitchcock war schon dran

Bereits 1930 hat Alfred Hitchcock „Juno und der Pfau“ als Milieustudie verfilmt, die in ärmliche Verhältnisse und hoffnungsgläubige Gesichter schaut. Von einem vergleichbaren Realismus ist Peschel meilenweit weg. Die offene Bühne mit dem Ofen, alten Stühlen, grünem Glitzervorhang verströmt zwar trashige Prekariatsatmosphäre, doch echten Absturz mutet der Regisseur seinen Figuren nicht zu.

Michael Schweighöfer spielt Jack Boyle als verschmitzten Charmebolzen, immer ein paar Sprüche auf der Lippe, der mehr als nur das Reden seiner resolut quengelnden Ehefrau (Anita Vulesica) an sich abprallen lässt. Er ist einer mit echtem Herz, der zuerst nicht in Großmannssucht, sondern in Tränen ausbricht, als er vom Erbe erfährt. An dieser Stelle aber verpasst Peschels Inszenierung die Kurve zur Erbschaftsklamotte. Statt dem skurrilen Taumel der Handlung zu folgen und darüber Fahrt zu gewinnen, hangelt sich die Inszenierung am Situationswitz der Figuren voran.

Der ölige Saufkumpel Joxer (Moritz Grove) hat stets ein Bier in der Plastiktüte parat. In seinem ersten Auftritt hantiert er umständlich mit einem großen Postpaket. Es fehlt auch nicht der Witz mit dem Sofa, das nicht durch die Tür passt. Der slapstickhafte Umgang mit der Dingwelt ist eine sichere Bank, karikiert zuverlässig den Überlebenskampf der Figuren, während die Boyle-Familienmitglieder ihr Herz auf dem rechten Fleck behalten dürfen.

„Juno und der Pfau“ ist nicht die erste Regiearbeit von Milan Peschel, der weiterhin Schauspieler genug ist, um den Abend über komödiantisches Spiel auf Wirkung zu trimmen. Es ist ein sehr menschenfreundlicher Witz, aber zu guter Letzt auch einer, der den Verhältnissen des Stücks nichts Schräges abzugewinnen weiß.

Über drei Stunden trägt das nicht. Völlig aus dem Rahmen fällt die Figur des kriegsversehrten Sohns, von Ole Lagerpusch konsequent mit Leidensmiene gespielt. Die Sinnlosigkeit der abgewrackten Welt, über die Vater Boyle am Ende philosophiert, bleibt leere Behauptung. Und es bleibt offen, ob seine Lust zur Arbeitsverweigerung statt Widerstand nicht eben doch nur eine Form der Faulheit ist.

■ Wieder am 9., 12., 19., 28. 2., Deutsches Theater, Kammerspiele, Schumannstr. 13 a, 20 Uhr