Kolumne Ökosex: Ich denke oft an N II 5
Wie konnte es so weit kommen, dass ich Fremde binnen Sekunden nach dem Verbrauch ihres Audi TT frage?
"Sag mal", fragte mich mein Bruder, "wie bist du eigentlich so geworden, wie du bist?"
Ich verstand gar nicht, worauf er hinauswollte: "Was meinst du denn?" Und er: "Na, du redest doch praktisch nur noch über Kohlendioxid und Klimaschutz. Das war doch in unserer Kindheit nicht so. Da muss doch später irgendwas nicht normal gelaufen sein."
Mein großer Bruder hat recht. Das ist nicht normal gelaufen. Gestern erst habe ich jemanden, den ich grade kennen gelernt hatte, nach dem Verbrauch seines Audi TT gefragt. Das ist nicht höflich. Und langweilig. Aber ich kann es nicht lassen.
Martin Unfried (41) arbeitet als Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht. ER liebt die solare Effizienzrevolution, kauft sich hemmungslos Klimaschutzprodukte und will damit bis 2012 raus sein aus der fossilen Welt. Er singt auch bei Ökosex, der ersten Kolumnenband der Welt.
Ich diskutiere beispielsweise mit meinem Freund Dommy nie über Homöopathie. Immer nur über ökosexmäßigen Energiequatsch. Unsere Frauen haben ein viel breiteres Themenspektrum. Aber wir? Ach, die gemeinen Stromkonzerne; Neues vom Luftdruckauto, wie läufts mit den Kollektoren?
Es ist Liebe. Es ist Leidenschaft für die solare Effizienzrevolution. Wir können nicht anders. Der Durchschnittsverbrauch des TT beträgt übrigens 9,6 Liter. Wenn ich so was höre, rattert es in meinem Gehirn. Das sind 6 Liter zu viel. Mein Bruder hat recht. Eine solche professionelle Deformation hat ihre Gründe. Was viele junge Leute nicht wissen: Die Rakete Klimaschutz zündet nicht im Jahre 2007, sondern 1990. Ich hab sie aus der Nähe abheben gesehen. Die Kindheit des Klimaschutzes war meine Jugend.
Bonn am Rhein. Irgendwann im Jahre 1992 oder 93. Ich sitze in einem Kästchen. Es heißt N II 5. Das ist der Name eines Referats. Wer jemals ein Organigramm - das ist ein großer Organisationsplan - eines Ministerium gesehen hat, weiß, wie so ein Kästchen aussieht. Ich bin für ein paar Wochen ein kleiner Praktikant im Umweltministerium. Der Minister heißt Töpfer. Das Referat N II 5 ist zu dieser Zeit das Zentrum des deutschen Klimaschutzkosmos. Drei oder vier Ministerialbeamte und eine Frau an der Spitze bilden ein eingeschworenes Team mit einem Spezialauftrag: Zeh-O-Zwei reduzieren in Deutschland, und zwar 25 Prozent bis ins Jahr 2005.
Seit dieser Zeit habe ich für Beamtenwitze nichts mehr übrig. Die Besatzung von N II 5 sind meine Helden. Und 2005 ist ein Planet im Weltraum einer fernen Zukunft. Ich rechne: Im Jahre 2005 werde ich fast 40 Jahre alt sein. Unvorstellbar. Auch Töpfer ist jung, und der Held der Rio- Konferenz. Der Kanzler hatte ja 1990 alles abgesegnet. Seitdem heißt die Partie: Bundesregierung gegen Klimakatastrophe.
Ich forsche. Das Wirtschaftsministerium hofft noch, es handele sich um ein Versehen. Hofft, der Spuk geht vorbei. Im Bauministerium sagen mir Beamte, das sei alles nicht zu machen. Ein dummes Ziel. Im Forschungsministerium lachen die Beamten noch über die Erneuerbaren. Aber N II 5 kämpft. Das Umweltministerium, das bis dahin nichts in Sachen Energiepolitik zu sagen hatte, entwickelt die ersten Pläne für ein neues Energiezeitalter. Braucht das nicht einmal zu erfinden, denn Enquetekommissionen und Institute haben alles längst angedacht: die Gebäude, die Kraft-Wärme-Kopplung, die Erneuerbaren als Technologie des 21. Jahrhunderts. Der Verkehr als wachsendes Fragezeichen. Das Steuersystem als Ökobaustelle.
Ach. Manchmal kann ich nachts nicht schlafen, weil ich Varianten meiner solaren Dachsanierung durchdenke. (Wenn Sie das interessiert, erzähle ich demnächst gerne mehr darüber.) Jedenfalls blättere ich seitdem mitten in der Nacht in den alten N-II-5-Berichten von 1992. Hätten wir 2005 doch 25 Prozent CO2-Minderung erreicht; dann wären es bis 2020 nur noch weitere 15 Prozent. Und wir hätten noch 15 Jahre Zeit. Dann kann ich erst recht nicht mehr schlafen.
Jedenfalls: So gewaltig ist das alles nicht, was der heutige Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will. Aber das weiß heute niemand mehr. Die 25 Prozent bis 2005 wurden übrigens irgendwann von Rot-Grün als Ziel entsorgt. Das empfand ich als Verrat. Journalisten glotzen ja meist wie gebannt auf die Minister. Ich denke an N II 5. Wie schön das klingt! Wurde dann später in G noch was umbenannt.
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