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Kommentar KempowskiEine Sprache für sich

Michael Ringel
Kommentar von Michael Ringel

Walter Kempowski hat dem deutschen Bürgertum stets aufs Maul geschaut. Das machte ihn bei den Linken verdächtig, die in ihm einen Volksschriftsteller sahen.

E inen "Volksschriftsteller" hat man ihn nicht nennen dürfen, das habe etwas "Nazistisches", sagte Walter Kempowski einmal. Und doch war der 1929 in Rostock geborene Reedersohn wie kaum ein anderer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts dem Volk nahe. Denn er saugte dessen Sprache buchstäblich auf und verarbeitete sie in seinen großen bürgerlichen Romanen "Tadellöser & Wolff", "Uns gehts ja noch gold" und "Ein Kapitel für sich", die in den Siebzigerjahren durch die kongenialen Verfilmungen Eberhard Fechners weit in ebendieses Volk hineinwirkten: durch Kempowskis sehr eigene Sprache, seinen norddeutschen, am Swing geschulten Sound.

Jeder seiner Leser kann die komischen Glanzstücke herunterbeten: "Klare Sache, und damit hopp" oder "Ansage mir frisch!" oder "Wie isses nur möglich?", dieser eigentümliche Tonfall eines Bildungsbürgertums, das seinen Untergang melancholisch und zugleich rasend komisch kommentiert. Kempowski war der exakte Erzähler des deutschen Bürgertums, weil er genau hinhörte. Allein das aber produzierte ein enormes Misstrauen gegen ihn aufseiten der Linken. Sie sahen in ihm einen Volksschriftsteller, der sich einem Bürgertum anbiederte, das Hitler und die Nationalsozialisten erst ermöglicht hatte und nun nach dem Krieg so tat, als ob nichts gewesen wäre. Sie sahen einen Kommunistenhasser, der acht Jahre wegen angeblicher Spionage für die USA in einem ostdeutschen Gefängnis saß. Doch sie übersahen, was Kempowski leistete, als er, der die bürgerliche Tragik persönlich durchlebt hatte, ein genauer Chronist deutscher Verhältnisse wurde. Seine Chroniken wie auch sein Mammut-Tagebuchwerk "Echolot" ermöglichten es späteren Generationen erst, vieles von dem zu verstehen, was in die Katastrophe von Auschwitz geführt hatte.

Volksschriftsteller sind per se verdächtig, denn den Deutschen ist zu misstrauen - so die sehr simple Logik mancher Linker. Damit steht Walter Kempowski in einer guten Ahnenreihe mit Autoren wie Karl May oder Johannes Mario Simmel, die durch den verfemten Begriff eher geadelt werden: Denn Volkes Sprache ist viel zu wertvoll, um sie denen zu überlassen, die sie todsicher gegen das Volk wenden.

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Michael Ringel
Wahrheit-Redakteur
Jahrgang 1961, lebt in Berlin-Friedenau und ist seit dem Jahr 2000 Redakteur für die Wahrheit-Seite der taz.
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