piwik no script img

Zeitgenössische KunstNofretete als Diva

Die Ausstellung "Gegenwart aus Jahrtausenden" in Bonn zeigt, dass es in Ägypten gibt es nicht nur Pharaonengräber, sondern auch eine sehr lebendige Kunstszene gibt.

Tradition trifft moderne Kunst: Kolorierte Fotografie von Youssef Nabil. : Kunstmuseum Bonn

An Ausstellungen über die versunkene Größe der Pharaonenreiche ist kein Mangel. Doch der Kunstbetrieb nimmt kaum wahr, dass auch im heutigen Ägypten eine lebendige Kunstszene existiert und bereits 1995 der ägyptische Pavillon auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen erhielt. "Unser Sehen in Europa ist sehr intro- und retrospektiv", bestätigt Dieter Ronte, Direktor des Kunstmuseums Bonn. Das blickt jetzt über den abendländischen Tellerrand und präsentiert zeitgenössische Kunst aus Ägypten. Als Kuratorin wählte Karin Adrian von Roques 13 KünstlerInnen aus, die alle in Ägypten leben und arbeiten. Die älteste unter ihnen ist die 1948 geborene Huda Lutfi, nach einem Intermezzo in Kanada nun glücklich im alten Kairo verwurzelt.

Ihre Installationen sind Bricolagen aus Fundstücken, die sie in den Straßen und Läden ihres Viertels entdeckt. Zu ihrem "Masha-Puppen-Labyrinth" regten sie billige Blechzangen an, die zum Anzünden von Wasserpfeifen mit Kohle dienen und als antike Frauenfiguren geprägt sind. Montiert auf ein zusammenklappbares labiles Holzgerüst, sollen sie "die Brüchigkeit kultureller Geschlechterkonstruktionen, vielleicht auch des Lebenslabyrinths selbst" vermitteln. Indem solch spielerisches Kombinieren den Fundstücken eine neue Bedeutung gibt, kann es zu einer Art von politischem Akt werden. Das erlebte die Künstlerin mit ihrer Installation "Found in Cairo", die 2003, kurz vor Beginn des Irakkrieges, in der Townhouse-Gallery mitten im alten Kairo gezeigt wurde.

Nicht die Plastikpuppen mit der Aufschrift "No to War" auf dem nackten Brustansatz erregten Missfallen, sondern das Plakat mit dem Foto eines hölzernen Schuhleisten, auf den ein Sufi-Spruch gemalt war. Es verwies auf die 50 ebenso beschrifteten Leisten, die Huda Lutfi in der abgedunkelten Gallery arrangiert, angestrahlt und durch einen Spiegel auf 100 verdoppelt hatte. Als Kontrast zum lauten, chaotischen Kairo sollten sie das meditative, das stille Kairo visualisieren, erregten aber sowohl im Viertel wie bei der Polizei den Verdacht der Blasphemie. Und als die Ausstellung 2005 nach Bahrain ging, behielt der Zoll die bemalten Leisten ein. Die Künstlerin bemalte neue Leisten mit Silberfarbe und nur einem einzigen Satz: "Schweigen ist Silber". So ist die Installation nun auch in Bonn zu sehen.

Wie ihre KollegInnen ist Huda Lutfi nicht auf plumpe Provokation aus, sie reflektiert ihr künstlerisches Tun intensiv und will sich ihrem sozialen Umfeld nicht allzuweit entfremden. "Schließlich habe ich verstanden, dass kulturelle Grenzen erst durch den Prozess des Improvisierens, Experimentierens und Austauschens sichtbar werden und wir Künstler uns innerhalb dieser Linien verorten sollten", resümiert sie im Katalog. Soziale oder politische Kritik findet man daher allenfalls auf subtile Weise ausgedrückt. Wenn Sabah Naim ihr Großfoto einer Menschenansammlung so übermalt, dass die herunterfließende Farbe an Gitterstäbe denken lässt, könnte die Arbeit eine solche Trouvaille sein.

Basis des künstlerischen Experimentierens ist die lange Reihe altägyptischer, koptischer, islamischer und seit dem Kolonialismus westlicher Traditionen. Der Titel der Bonner Ausstellung "Gegenwart aus Jahrtausenden - Zeitgenössische Kunst aus Ägypten" weist darauf ebenso hin wie ihr Aufmacher, ein Foto der Nofretete. Youssef Nabil gab ihm durch Handkolorierung die Anmutung einer heutigen Diva. Auch andere Exponate thematisieren die Suche nach einer künstlerischen Identität, die den globalen Austausch pflegt, ohne Traditionen ad acta zu legen. Die Künstler wollen am Baum der Weltkunst als ebenbürtig wahrgenommen werden und bei aller polyglotten Offenheit durch ihr kulturelles Erbe unverwechselbar bleiben. Sie wollen weder westliche Strömungen blind nachahmen noch ins Folkloristische abgleiten.

"Ich und die Anderen" hat der 1976 geborene Emad Abd El Wahab seine Reihe großformatiger Acrylgemälde auf Leinwand betitelt und sie so interpretiert: "Es ist der Andere, der uns in seiner Verschiedenartigkeit unser eigenes Wesen deutlich macht und es bereichert; deshalb ist er es, der die Ausformung unserer Identität fördert - seine Identität ist notwendig für unsere." Malerisch demonstrierte er das freilich am weiblichen Beispiel, und zwar am nackten. Erstaunlich zunächst, doch weltliche Themen wurden bereits nach Gründung einer Kunstakademie im Jahr 1908 vom islamischen Bilderverbot befreit, TV und Internet machten das endgültig.

Um bei aller Modernität eigene Akzente zu betonen, thematisieren viele Arbeiten den ägyptischen Alltag. Unter dem Titel "Awaad hat sein Land verkauft" hängt etwa Ayman El Semary viele Unterhosen hoch über dem steinigen Boden auf: Der Bauer musste sich nackt bis auf die Hosen ausziehen. Ayman Ramadan simuliert eine Busfahrt durch die verstopften Straßen Kairos. Er baute die Sitzreihen nach und setzte Pappfiguren darauf. Auf der Wand vor dem Lenkrad läuft ein Video, das die Sicht durch die Frontscheibe auf das Straßengewühl vortäuscht. Eine so einfache wie überzeugende Idee, die der Künstler gemeinsam mit Anwohnern der Townhouse-Gallery realisierte.

Seit Jahrzehnten schließt sich die ägyptische Avantgarde in Gruppen zusammen, um ihre Infrastruktur zu verbessern und ihre Haltung zum Westen zu diskutieren, die zwischen Hassliebe und Anbetung changierte. Heute scheint die Townhouse-Gallery Sammelpunkt für Künstler zu sein, die unabhängig und ohne Bevormundung, aber nicht im luftleeren Raum arbeiten wollen. Die Galerie erleichtert nicht nur internationale Kontakte, sondern wirbt auch für Akzeptanz im Viertel, indem sie Kurse für Jugendliche anbietet, Kulturveranstaltungen organisiert, ja selbst Flüchtlinge betreut. Menschenfreundlichkeit strahlen denn auch viele der Bonner Exponate aus.

Bis 28. Oktober, Kunstmuseum Bonn, Katalog (Wienand Verlag, Köln) 27 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen