Debatte Gordon Brown: Keine Visionen, nur Träume

Gordon Browns einzige Idee als Premier ist es, erfolgreiche Vorschläge der Tories abzukupfern. Unterdessen werden in Großbritannien die Reichen reicher, die Armen ärmer.

Er kann eben nicht aus seiner Haut. Der britische Premierminister Gordon Brown ist und bleibt ein Meister des "Spin", der Nachrichten einen ihm genehmen Dreh gibt. Für einen Moment, nachdem er im Juni sein Amt angetreten hatte, schien es, als ob er sich wohltuend von seinem Vorgänger Tony Blair abheben würde. Er reagierte den Sommer über unaufgeregt auf Flut, Terroranschläge, Bankenkrise sowie Maul-und-Klauen-Seuche. Das ließ ihn als kompetent erscheinen. Warum eigentlich? Die Krisen haben Fachleute gemeistert. Brown tat, was Politiker in solchen Fällen zu tun pflegen: Sie hoffen, dass es schnell vorbeigeht. Was sonst?

Aber er war noch keine hundert Tage im Amt, als der alte Brown mit seiner Vorliebe für "Spin" wieder zum Vorschein kam. Als Schatzkanzler hat er durch seinen Kleinkrieg mit Blair zehn Jahre Schulung in dieser Disziplin hinter sich. Bei seiner schlagzeilenheischenden Stippvisite in den Irak ausgerechnet zu Beginn des Tory-Parteitags und vor allem bei dem Eiertanz um vorgezogene Parlamentswahlen griff er erneut in die Trickkiste. Es ist nicht verwerflich, über solche Wahlen nachzudenken, wenn einem das undemokratische britische Wahlsystem das absurde Instrument in die Hand gibt, den Wahltermin nach Gutdünken festlegen zu dürfen. Schließlich ist Brown ja nicht gewählt worden, weder von der eigenen Partei und schon gar nicht von der Bevölkerung. Da die Tories sich den ganzen Sommer über gegenseitig zerfleischten, erschien eine schnelle Parlamentswahl reizvoll, um nicht als Premierminister in die Geschichte einzugehen, der keine einzige Wahl gewonnen hat. In drei Jahren, wenn er spätestens wählen lassen muss, ist die Gelegenheit womöglich verstrichen.

Genauso wenig verwerflich ist es, von dem Gedanken Abstand zu nehmen, wenn die Meinungsumfragen plötzlich ein weit weniger günstiges Szenario entwerfen. Aber dann sollte man wenigstens den Mut haben, das zuzugeben. Es war eine bizarre Situation bei der Pressekonferenz am Montag, als Brown die Gründe für seine Meinungsänderung anführte: Jeder der anwesenden Journalisten wusste, dass er log, und Brown wusste es auch. Aber er sprach ein ums andere Mal von seiner "Vision", für die er Zeit benötige, um sie umzusetzen. Das Wort fiel in der kurzen Pressekonferenz mindestens 30-mal.

Welche Vision? Sie ist bis heute schwammig, nicht mal seine eigenen Parteigenossen können sie benennen. Hätte es im Mai, nachdem Blair sein Rücktrittsdatum festgelegt hatte, einen Gegenkandidaten gegeben, dann hätte Brown im parteiinternen Wahlkampf seine Karten auf den Tisch legen müssen. Doch John McDonnell vom linken Flügel, der eine Kandidatur erwog, bekam die nötigen Nominierungsstimmen nicht zusammen, weil seine Anhänger von Browns Leuten eingeschüchtert wurden - Tenor: Wollt ihr wirklich eure politische Zukunft riskieren?

Der erste Parteitag der Ära Brown brachte auch kein Licht in die Sache. Es sei ein dröger Parteitag gewesen, schrieben die Medien vor zwei Wochen. Brown sei in seiner Rede so eloquent gewesen wie Cicero, nachdem man ihm die Zunge herausgerissen hatte, monierte einer. Ein anderer fühlte sich an den Small Talk beim Friseur erinnert. Das mag alles sein, aber die Vorwürfe sind unfair. Dieselben Journalisten hatten sich in der Vergangenheit über Blairs aufdringliches Geplapper und sein nervenaufreibendes Grinsen beschwert.

Eine langweilige Präsentation ist ein kleines Manko, wenn die Inhalte überzeugen. Doch Brown und seine Minister haben keine eigenen Ideen. Ihre Reden hätten sie genauso gut auf dem Tory-Parteitag halten können und wären dort gefeiert worden. Die Deportation krimineller Immigranten, die Kampfansage an Gewalt im Fernsehen, mehr Reinigungspersonal für die Krankenhäuser, die Senkung der Körperschaftsteuer, die Erhebung von Flugsteuern nicht mehr pro Passagier, sondern pro Flugzeug, damit Fluglinien bestraft werden, die mit halb vollen Maschinen fliegen - all das ist aus dem Tory-Programm abgekupfert. Was ist das für eine Politik, bei der man der Opposition den Wind aus den Segeln nehmen will, indem man sie kopiert?

Der peinliche Gipfel war die Sache mit der Erbschaftsteuer. Weil die Tories mit dem Versprechen, diese Steuer für Häuser im Wert von unter 1 Million Pfund abzuschaffen, viel Boden gutmachten und Browns Pläne für vorgezogene Wahlen durchkreuzten, übernahm er auch diese Idee: Fünf Tage später verdoppelte seine Regierung den Freibetrag für die Vererbung von Immobilien auf 600.000 Pfund. Auch das war "Spin", denn diese Regelung besteht längst, wenn sich (Ehe-)Paare nicht töricht anstellen, sondern ihre jeweiligen Freibeträge von 300.000 Pfund addieren.

Wäre Brown mutig gewesen, hätte er das Steuerversprechen der Tories in der Luft zerrissen und erklärt, dass die Erbschaftsteuer in den vergangenen hundert Jahren stets auch ein Mittel war, um ein bisschen mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Das aber gehört nicht zu Browns Visionen, wie er in seinen zehn Jahren als Schatzkanzler bewiesen hat.

Vor 25 Jahren galten 13 Prozent der Briten als einkommensschwach, heute sind es 20 Prozent. 2006 lebten 3,8 Millionen britischer Kinder in Armut - 200.000 mehr als im Jahr zuvor. Aufgrund des Brownschen Steuersystems bezahlen viele Manager in der Londoner City weniger Steuern als ihre Putzfrauen: Die unteren 10 Prozent zahlen mehr in die Staatskasse als die oberen 10 Prozent. Das Durchschnittsgehalt für einen Geschäftsführer in den hundert Firmen, die im FTSE-Index aufgelistet sind, beträgt 2,4 Millionen Pfund im Jahr.

So gut wie heute hatten es die Reichen in Großbritannien noch nie. Und noch nie war es so wichtig, in eine reiche Familie hineingeboren zu werden. Es ist bezeichnend, wen sich Brown als Berater ausgesucht hat: Lee Scott, Chef des US-Multis Wal-Mart, ist für Globalisierungsfragen zuständig, Investmentbanker David Freud berät in Sachen Wohlfahrtssystem. Eine politische Debatte findet in Großbritannien nicht mehr statt, die Parteiprogramme werden danach ausgerichtet, ob sie Stimmen bringen. Und bei Bedarf werden sie verändert.

Das gilt auch für die Modernisierung der Atomwaffenflotte Trident. "In einer unsicheren Welt müssen und werden wir die Stärke haben, alle notwendigen langfristigen Entscheidungen zu treffen, um für Stabilität und Sicherheit zu sorgen", sagte Brown. Wessen Stabilität und Sicherheit? Die der Labour Party, denn die Parteispitze meint, dass Labour ohne Trident nicht wiedergewählt würde, so nutzlos das 75 Milliarden teure Gerät für die britische Sicherheit auch ist. Aber die Tories sind nun mal dafür.

Brown möchte sie gerne obsolet machen. Er hat ein paar von ihnen zu Labour gelockt, und er hat Avancen an Politiker der Liberalen Demokraten gemacht. Brown sieht sich als Vater der Nation. Aber auch das ist keine Vision, sondern ein Wunschtraum.

RALF SOTSCHECK

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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