Auf der Buchmesse: Die Messe, ein Lebensroman
Buchmessern (3): Eine Begegnung am Taxistand und eine überraschende Einsicht - so groß ist das Projekt Buch.
Am ersten Messetag wartete nach einem Empfang ein betagter Mann vor mir auf ein Taxi. Es stellte sich heraus, dass wir dieselbe Richtung hatten, also fuhren wir zusammen. Vorgestern Nacht, inmitten des vor Menschen und alkoholbefeuerten Gesprächen schier berstenden Fischer-Verlagsfestes, sah ich ihn wieder. Groß, schlank, heller Anzug und mit dieser charmanten Höflichkeit, die im Zivilisationsprozess der vergangenen Jahrzehnte doch etwas ins Hintertreffen geraten ist.
Es stellte sich heraus, dass dies seine 50. Buchmesse ist. Viele Jahre lang hat er Essays und Kritiken geschrieben, hat Bücher lektoriert, die Manuskripte einiger Autoren betreut er noch heute. Wir sprachen dann über Henry James, den im Deutschen etwas mehr zu popularisieren er sich vorgenommen hat; ein "so witziger Autor", sagte er auf mein Stirnrunzeln hin. Dann sprachen wir über unsere Töchter und seine Enkel.
Es ist nicht leicht, das Berührende einer solchen Begegnung zu beschreiben. An allen Seiten drängeln Menschen vorbei. Um einen herum erzeugt der Wörtertausch einen Geräuschpegel, der einem noch am nächsten Morgen im Ohr dröhnen wird. Die Kellner schaffen es mit den Weinflaschen zum Nachschenken gerade einmal ein, zwei Meter aus dem Küchenraum heraus; dann sind die Flaschen schon wieder leer. Und inmitten dieses Trubels steht man mit einem alten, freundlichen Herrn wie in einer Blase zusammen, erzählt sich ein bisschen was aus seinem Leben und geht dann wieder auseinander (und nimmt sich hinterher vor, diese alten Ullstein-Ausgaben der Henry-James-Romane von der zweiten Reihe des Bücherregals in die erste hervorzuholen, was man dann aber doch nicht tun wird). Die Begegnung hatte etwas Anachronistisches; und doch wird sie vielleicht für mich das sein, was von dieser Messe bleiben wird.
Natürlich ist so eine Buchmesse auch ein großes Geschäft, ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, ein Gewirr aus Angebereien, aus Karriereschritten, aus sich erfüllenden und zerplatzenden Geschäftsplänen. Und an der These, dass das Medium Buch von einem kreativindustriellen Umfeld umschlossen ist, gibt es nichts zurückzunehmen, wenn man durch die Messehallen schlendert und sich all diese, hey, tollen neuen Ideen anschaut, wie man Bücher und Texte vermarkten kann: pre-loaded audio books zum Beispiel, auch so ein neuer Schrei.
Aber es sind doch Begegnungen wie diese, die das Salz so einer Messe ausmachen. Seit 50 Jahren kommt dieser Herr Jahr für Jahr aus der Schweiz nach Frankfurt, um alte Kontakte zu pflegen und - mit Neugier im Blick - neue Menschen kennenzulernen, die auch mit Büchern zu tun haben. Unwillkürlich rollt vor dem inneren Auge ein Lebensroman ab, mit einsamen Stunden am Schreibtisch, glücklichen Lektüreerfahrungen, vielleicht auch einigen fehlgeschlagenen Projekten und mit diesem einen festen Termin im Kalender, an dem man ein halbes Jahrhundert lang festhält. Anfang Oktober: Buchmesse!
Wenn man sich nach so einer Begegnung im Trubel umguckt (wo gleichzeitig Hunderte solcher Begegnungen ablaufen), bekommt man eine Ahnung davon, was wirklich interessant an so einer Buchmesse ist: dass man sich vergewissert, wie groß das ist, das Projekt Buch und darin auch das Projekt Literatur. Wie viel Leidenschaft, Hoffnung und Ehrgeiz damit verbunden sind. Wie viele Menschen daran beteiligt sind und wie viele Leben damit schon ausgefüllt wurden.
Entschuldigung, falls diese Kolumne zu privatistisch geraten ist. Aber ich wollte ihn unbedingt noch einmal aus der Ferne grüßen, den alten Herrn, der ganz leise und nur für sich seine 50. Messe feierte.
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