China: Der Kurs lautet Rot-Grün

Wenn Montag der KP-Parteitag eröffnet wird, geht es auch um die Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik. Saubere Luft soll vorrangiges Ziel sein - wie in der Ökostadt Nantong.

"Wir wollen nichts schönreden": Smog in Peking Bild: dpa

Die schwarze Limousine rollt durch das Tor des Botanischen Gartens. Der Parteisekretär steigt aus. Luo Yimin trägt ein blendend weißes, aufgeknöpftes Hemd. Er ist ein großer, breitschultriger Mann. Er wirft einen kurzen Blick über den blühenden Garten mit seiner goldenen Pagode. Er eilt zum Museumsgebäude des Gartens, schüttelt drinnen dem Reporter kurz die Hand und betritt den Sitzungssaal. Er macht ein unzufriedenes Gesicht. "Ihr lebt ein Leben wie die Götter, und ich muss mich auch noch um die Kleinigkeiten kümmern", schimpft er. Er befiehlt, die Klimaanlage auszustellen. Die Luft sei gut, stellt er fest, aber der Raum zu dunkel. Er lässt die Jalousien hochziehen. Sie geben den Blick auf den Garten frei. Jetzt ist der Parteisekretär zufrieden. Er hat demonstriert, dass Umweltbewusstsein vor der eigenen Haustür anfängt. Er beginnt die Sitzung.

Sie wäre normalerweise eine ganz normale Parteisitzung, ein reguläres Kabinettstreffen des Verwaltungsbezirks Nantong nördlich von Schanghai. Ist sie aber nicht. Auf der Protokollantenbank steht ein rosa Namenskärtchen mit den vier chinesischen Schriftzeichen für "die tageszeitung". Zum ersten Mal hat Parteisekretär Luo einen ausländischen Journalisten zu einem parteiinternen Treffen eingeladen. Gewöhnlich wird ein solcher Blick in das innere Getriebe der Partei von den kommunistischen Propaganda-Ämtern strikt verboten. Gerade jetzt, zum Auftakt des 17. Parteitags der Kommunisten in Peking, will die Partei ein geschlossenes Bild nach außen geben.

An diesem Montag eröffnet in Peking der nur alle fünf Jahre stattfindende Parteitag der chinesischen Kommunisten. Er entscheidet über die Zusammensetzung der KP-Führung in den nächsten fünf Jahren - im Gegensatz zum Volkskongress, der jedes Jahr im Frühjahr tagt und die Regierungspolitik billigt.

Formal gesehen wählen die 2.217 Delegierten des Parteitages in dieser Woche ein Zentralkomitee (bisher 356 Mitglieder), das daraufhin das Politbüro (bisher 26 Mitglieder) wählt. In Wirklichkeit aber werden von der Parteiführung Kandidatenlisten ausgegeben, denen der Parteitag dann zustimmt.

Richtig spannend wird es deshalb erst, wenn das Politbüro am Ende des einwöchigen Parteitags aus seiner Mitte den "Ständigen Ausschuss" ernennt. Er zählt derzeit acht Mitglieder und ist der Kreis der eigentlichen Machthaber des Landes. Wer diesmal neu dazukommt, gilt als Kronprinz von Generalsekretär Hu Jintao, der im Jahre 2012 nach zwei Amtszeiten abtreten muss.

Doch Luo will der Welt zeigen, was er kann. Er hat keine Angst vor seinen Parteibossen in Peking. "Die wissen, was sie an uns haben", sagt er. Er will das neue politische Programm seiner Partei vorführen: Nachhaltigkeit.

Luo, Jahrgang 1954, war Literaturstudent und Uniassistent, bevor er sich in der Partei hocharbeitete. Er las Goethe, Hegel und Marx. Er heiratete eine Universitätsprofessorin. Später ließ er Frau und Tochter in der Provinzhauptstadt Nanking zurück, um den Prestigejob des Parteisekretärs und damit uneingeschränkten Herrschers über Nantong anzutreten. "Die Familie hat sich für meine Arbeit opfern müssen", sagt Luo. Dafür gehorcht ihm jetzt in Nantong alles und jeder: die Stadtverwaltung, der Volkskongress, die Gerichte, die Medien, die Staatsunternehmen - überall hat er das letzte Wort, genauso wie KP-Generalsekretär Hu Jintao in Peking. Er ist ein kleiner Diktator, Hu ein großer.

Nantong ist die boomende Hafenstadt an der Mündung des Jangtse-Flusses. Sie war in den 80er-Jahren eine der ersten weltoffenen Handelsstädte Chinas. Sie hat acht Millionen Einwohner, einen riesigen Containerhafen, gigantische Werften, eine restaurierte Altstadt, ein nagelneues, architektonisch anspruchsvolles Rathaus, größer als das Berliner Bundeskanzleramt, und einen neu angelegten botanischen Garten am Ufer des Jangtse. Nantong ist eine Vorzeigestadt des neuen Chinas. Aber nicht mehr nur für Wachstum und Wohlstand.

Luo sagt, es gehe ihm bei der Sitzung an diesem Morgen um zwei Schwerpunkte: Umweltschutz und Ökostadtbau. Er reibt sich die Hände, stützt die Ellbogen auf den Tisch und hebt zu einer langen Rede an. Vermutlich haben die Anwesenden alles, was er sagt, schon mehrmals gehört. Luo gratuliert ihnen, dass die Zentralregierung in Peking Nantong zur ökologischen Modellstadt deklariert habe.

Erst nach eine Weile schlägt der Ton um. "Wir wollen nichts schönreden. Es gibt noch viele Probleme", sagt Luo plötzlich. Er sieht niemandem in die Augen, aber er wird konkret: Nur vier von zwanzig Umweltschutzzielen, deren Erreichen die Zentralregierung bis 2010 einfordere, habe Nantong bis heute erreicht. Mit 57 Prozent am Bruttosozialprodukt liege der Industrieanteil immer noch viel zu hoch. Die Wirtschaftsweise müsse sich ändern, sagt Luo.

Ganz ähnlich redet Parteichef Hu in Peking. Seine verschnörkelte Sprache mit den vielen Lobeshymnen auf die Partei macht den Zuhörer taub. Doch am Ende hat er doch etwas zu sagen.

So war es zuletzt am 25. Juni, als Hu vor der Parteischule des Zentralkomitees in Peking sprach. "Für eine gesunde und schnelle Entwicklung der Nationalökonomie ist es das wichtigste, bedeutende und neue Fortschritte bei der Veränderung der ökonomischen Entwicklungsweise zu erzielen", sagte Hu.

Er sagte noch viel mehr. Aber er betonte nur einmal, dass Umweltschutz und Nachhaltigkeit heute wichtiger für China sind als das reine Wirtschaftswachstum. Trotzdem gibt es an dem radikalen Kurswechsel keinen Zweifel. Der Generalsekretär will sein Land von der Entwicklungsdiktatur in eine Ökodiktatur führen. Der Kurs ist rot-grün.

Hu fügte noch eine Parole hinzu: "Das Volk an erster Stelle ist unser zentrales Thema, die ganzheitliche Koordinierung einer nachhaltigen Entwicklung unsere grundlegende Aufgabe", sagte er. Das musste reichen, damit einer wie Luo aufhorchte, aber die Außenwelt nicht auf den Gedanken kam, Hu spreche über eine gravierende Krise im Land. Doch genau das tat er.

Die Umweltkrise ist in China längst eine Gefahr für das System der KP. In den großen Städten sind die urbanen Mittelschichten stolz auf das erste eigene Auto. Aber sie leiden zunehmend an einer immer unerträglicher werdenden Luftverschmutzung. Nicht weniger betroffen ist die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit auf dem Land: Sie freut sich über ihren bescheidenen Wohlstand, über das heizbare Bauernhaus mit Kühlschrank und DVD-Anlage. Aber sie sorgt sich um vergiftetes Trinkwasser. Über 300.000 Millionen Chinesen trinken täglich unsauberes Wasser.

Die Parteispitze hat erkannt, dass die Umweltfrage für sie zur Überlebensfrage wird. Die KP gewann ihre politische Legitimation nach der Katastrophe der Kulturrevolution zurück, indem sie 400 Millionen Chinesen von Hunger und größter Armut befreite. Sie kann ihre Legitimation heute nur bewahren, wenn sie den Bürgern saubere Luft und sauberes Wasser gewährleistet.

Luo hat das schneller als andere verstanden. Er bittet den Leiter des Wasserversorgungsamts von Nantong ums Wort. Der Beamte hat eine Powerpoint-Präsentation vorbereitet. Er zeigt eine Tabelle, aus der hervorgeht, dass bis heute nur 28 Prozent der Bürger Nantongs über sicheres, gereinigtes Trinkwasser aus dem Jangtse verfügen. Der Rest sei auf unsicheres Grundwasser aus Brunnen angewiesen. Vorsichtig schildert der Kommunist die Lage. Auch er will nicht andeuten, dass er von einer Krise spricht. Doch wird nach und nach klar, dass der Grundwasserspiegel in Nantong sinkt, das Wasser salzig und von Industrieabwässern verschmutzt ist und viele Bürger daran erkranken. Schließlich schlägt der Amtsleiter vor, 12.000 Kilometer neue Wasserleitungen bis 2010 zu bauen, es sei ein großes, langwieriges Projekt. Zum Vergleich: Sämtliche Abwasserleitungen Berlins messen knapp 10.000 Kilometer.

Genau das können Chinas Kommunisten gut: Sie kleckern nicht, sie klotzen. Auf diese Art sind sie dem Größenwahn des Drei-Schluchten-Damms erlegen. Auf diese Art haben sie in den letzten fünf Jahren doppelt so viel Autobahnkilometer gebaut wie die Deutschen in den letzten 100 Jahren.

Luo jedenfalls zögert nicht. Schon wieder reibt er sich die Hände. Er verlangt von seinem Kabinett Unterstützung, keinen Widerspruch. "Mit der Wasserversorgung kommt auch die Abwasserentsorgung, das spart am Ende Kosten", versucht er finanzielle Bedenken schon vorab zu zerstreuen. Ende der Sitzung.

Anschließend lässt Luo den Reporter in den Nantonger Stadbezirk Baihua führen. Baihua bedeutet "hundert Blüten". Doch Baihua ist ein rauchendes Industrieviertel. Die Anwohner leben in engen Hochhaussiedlungen, von denen die Farbe blättert. Sie zeigen dem Reporter einen Fluss, der durch ihre Wohnanlagen fließt. Sie sagen, sein Wasser sei früher schwarz gewesen, kein Lebewesen hätte sich mehr darin gerührt. Sie zeigen auf ihren Fluss: Er ist wieder grün und man sieht Fische schwimmen. Ein kleiner Junge steht am Ufer und angelt.

Dabei sind die Anwohner gar nicht so glücklich. Sie erzählen von der alten Stahlseilfabrik in der Nachbarschaft, die schließen musste. Sie erzählen, dass dadurch tausend Arbeitsplätze verloren gegangen seien. Sie lassen sich nicht festlegen, was ihnen wichtiger sei: die alte Fabrik oder der grüne Fluss. Nur Luo vermag seine Priorität klar zu setzen: "Keiner kann sich mit uns vergleichen", schwärmt er beim Interview im Rathaus. Und er hat Recht: 80 Prozent aller chinesischen Flüsse sind tote Flüsse. Schon spricht man in der Partei vom "Nantong-Phänomen", hat das Propagandaamt der Partei die Kampagne "Von Nantong lernen" angeschoben. Nantong darf sich nun Ökostadt nennen.

Aber sind Fabrikschließungen und Massenkampagnen nachhaltig? Luo erzählt lieber von weiteren Plänen. Als Nächstes will er sich die Textilindustrie vornehmen. Wieder will er Fabriken dichtmachen lassen. Er verlässt sich auf seine Machtfülle. Man stelle sich die gleiche Situation im demokratischen Indien vor. Es gäbe lange Prozesse: Staat gegen Privateigentümer. Luo dagegen verdonnert auch die Gerichte. Er verlangt von den Richtern höhere Strafen für Umweltsünder. Luo lacht. Früher wäre das anders gewesen, da hätte man den Richtern gesagt: Lasst die Fabriken überleben!, weil alle nur ans Wachstum dachten, erzählt er. Doch damit sei Schluss. Wenn eine Fabrik sich nicht an die Vorschriften halte, sagt Luo, "dann tun wir es".

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