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Kommentar JugendschutzMit dem Kontrollverlust leben lernen

Kommentar von Tobias Rapp

Das Bedürfnis nach Rausch ist eine anthropologische Konstante. Und der Umgang mit Alkohol muss gelernt werden. Verbote haben da noch nie geholfen.

N atürlich ist das Verbot, harten Alkohol an Minderjährige zu verkaufen, richtig. Wer aber glaubt, eine Verschärfung des schon existierenden Verbots könnte den Alkoholkonsum von Minderjährigen unterbinden, macht sich Illusionen. Wenn die Erfahrungen mit der Drogenprohibition der letzten Jahrzehnte eines gezeigt haben, dann ja wohl, dass wer etwas haben will, es auch bekommt. Auch als 14-Jähriger. Darüber hinaus ist ein absolutes Verbot aber auch gar nicht wünschenswert.

taz

Tobias Rapp ist Redakteur im Kulturressort der taz. Er hat gerade mit dem Rauchen aufgehört - eine drogenfreie Zone ist sein Körper jedoch nicht.

Es mag sich zynisch anhören, angesichts all der 14-Jährigen, die gerade mit schweren Alkoholvergiftungen medienwirksam im Krankenhaus aufwachen. Aber wer aus diesen Geschichten Gesetzesverschärfungen ableiten möchte, der soll sich an seine eigene Schulzeit erinnern. Seine Grenzen auszutesten, bescheuerte Mutproben zu absolvieren und das zu machen, was die Autoritäten einem verbieten wollen, ist wichtiger Teil der Adoleszenz. Das muss die Gesellschaft aushalten können.

Mehr als das: Will man über einen rationalen gesellschaftlichen Umgang mit Drogen sprechen, muss man anerkennen, dass das Bedürfnis nach Rausch zum einen eine anthropologische Konstante ist und dass sich der Rauschmittelkonsum zum anderen nicht auf Leistungssteigerung und Verzweiflung reduzieren lässt. Denn auch der Glaube an einen ursprünglich reinen Körper, der ohne Drogen auskommt, ist eine Illusion. Es gibt ihn nicht. Auch wenn Sozialarbeiter und Dopingkritiker anderes sagen. Drogen sind nicht nur Symptom für Probleme, sie machen auch Freude. Wichtiger Teil dieser Freude ist das Gefühl des Kontrollverlusts. Der Umgang damit will gelernt sein.

Wer damit nicht leben kann, muss sich fragen lassen, ob er Zustände wie in den USA haben möchte. Dort muss jeder Gast einer Bar sich ausweisen, damit niemand, der jünger ist als 21 Jahre, Alkohol bekommt. Genutzt hat es nichts, getrunken wird wie überall sonst. Dass die Anonymen Alkoholiker mit ihren Abschwör-Ritualen die gesellschaftliche Wichtigkeit einer Volkskirche haben, ist die Folge, wenn eine Gesellschaft glaubt, auf eine Kultur des Rausches verzichten zu können.

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3 Kommentare

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  • AM
    André Meral

    Herr Rapp macht es sich in seinem Kommentar ein klein wenig zu einfach. Man muß nicht amerikanische Verhältnisse wollen, wenn man darüber nachdenkt, wie bestehende Gesetze wirksamer als bisher angewandt werden. Eine Verschärfung macht keinen Sinn, wenn man nicht einmal in der Lage ist, das derzeitige Jugendschutzgesetz anzuwenden.

    Von all denen, die Frau von der Leyens Idee, über die und vor allem über deren konkrete Ausgestaltung man durchaus diskutieren kann, so zerreißen, wünschte ich mir Alternativvorschläge, dazu. Wer den Jugendschutz nur als geduldiges Papier begreifen möchte,soll das so sagen. Möchte man aber ein Gesetz ernst nehmen, muß man überlegen, wie die Anwendung verbessert werden kann.

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

     

    André Meral

    jugendpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg

  • DS
    Detlef Sax

    Im Titel steht:

    "In den USA haben die Anonymen Alkoholiker die Relevanz einer Kirche."

    In der gesamten westlichen Welt sind AA und deren zahlreiche Abkömmlinge vertreten. Ein Meeting beginnt normalerweise mit dem Verlesen der 12 Schritte und der 12 Traditionen. Am Ende fasst man sich bei den Händen und sagt gemeinsam das Gelassenheitsgebet auf. In 6 der 12 Schritte wird ein Gott direkt oder indirekt erwähnt. In der Bibel der AA, dem blauen Buch findet sich das Wort Gott mehr als hundert mal.

     

    Jetzt kann man sagen, nun wer es mag und wenn es denn hilft. Nun kaum einer mag es, viele werden dort hineingepresst. Entweder durch Bewährungsauflagen, oder der Arbeitgeber droht mit Jobverlust oder die Ehefrau mit Scheidung. Und AA hilft nicht. Mit AA fangen Probleme erst mal an.

     

    D. Sax, 12 Schritte frei

  • WW
    Wilhelm Welzin

    Uninformierte Behauptungen über die Anonymen Alkoholiker sind leicht, es wird auch kaum jemand widersprechen. Weil niemand für diese Gemeinschaft sprechen kann und darf, sie ist zu anarchisch für sowas.

     

    Abschwörrituale helfen niemandem, und also werden sie auch nicht veranstaltet, dort wo ich diesen weitgehend ausgeblendeten und immer noch irgendwie anruechigen Teil unserer Gesellschaft erfahren habe. Was es hingegen gibt: profundes Expertentum für den jeweils eigenen Krankheits- und Genesungsverlauf. Das kann für Menschen, die aus der Alkoholfalle entkommen wollen, lebenswichtig sein. Durch einfaches Zuhören und Nachmachen ist eine neue Lebensqualität erreichbar.

     

    Einer mainstream-Publikation wie der "taz" (ich erinnere mich noch lebhaft und wehmütig an die beiden Pentagramme im Titel...) stünde es u.U. auch mal ganz gut zu Gesicht, so ein kleines bißchen sozialpolititsche Verantwortung zu zeigen und vielleicht mal nachzufragen, ob im Dienstbüro der AA (www.anonyme-alkoholiker.de) jemand Zeit und Lust hat, ein paar Sätze für einen informierten Text zu schreiben. Was AA tut, und wie es funktioniert - irgendwas in der Art. Denn unter den Lesern sind garantiert Menschen, die auf haargenau diese Informationen dringend angewiesen sind, weil sie gerade am Suff verrecken.

     

    Um den jeweiligen und bestimmt mit Verwaltungs- und Controllingaufgaben voll ausgelasteten Redakteueren die Arbeit etwas zu erleichtern, erlaube ich mir sicherheitshalber mal, einen kleinen Text hier hinzukopieren:Alkoholiker leben in ihrem eigenen Film. Der reißt gewöhnlich erst kurz vor dem Ende, am

    tiefsten Punkt, der ganz nah am eigenen Grab liegt. Dort wachen viele noch einmal auf. Als zeige sich ihnen in einem düsteren Wolkenhimmel noch einmal ein kleines blaues Loch, gerade groß genug um durchzuschlüpfen. Das ist die letzte Chance. Die Anonymen Alkoholiker nennen diesen Punkt die Kapitulation. Der Trinker erkennt, dass er unweiger-lich tot sein wird, wenn er weiter säuft: Seine Wahnwelt bricht zusammen. Oft braucht es 20 Jahre und länger bis zu dieser Erkenntnis, aber dann überkommt sie einen unvermittelt, wie ein geistiges Licht, das jemand in der Finsternis entzündet.

    In unseren AA-Treffen wird jeder nur über sich selbst reden. Es gibt keine Ratschläge. Keine Kritik. Keine Schuld. Nur Menschen mit Vornamen ? ohne Rang, Ansehen, Besitz. Nur Menschen ? nicht mehr und nicht weniger. Es fühlt sich an, das sagen sie alle, als würde einem die Last von der Seele genommen. Als sei man dort angekommen, wo der Mensch wirklich hingehört: Auf dieser elementaren Stufe nackter Einfachheit, auf der man endlich die Kraft findet, dem Leben in schlichter Demut gegenüber zu treten. Alle Lüge und falsche Vorspiegelung fällt plötzlich weg. Das öffnet das Fenster zur inneren Freiheit. Wer es ausprobieren möchte, ist herzlich willkommen.

    Der ist nicht etwa von mir, aber trotzdem gut.

     

    Beste Gruesse von einem alten Stammleser

     

    W.Welzin