streik im einzelhandel: Kein Klingeln in der Kasse
Die Beschäftigten im Einzelhandel in Berlin und Brandenburg streiken für mehr Geld. Doch nur sieben Penny- und drei Rewe-Märkte bleiben geschlossen, viele Mitarbeiter haben Angst um ihren Job.
Von weitem sieht alles aus wie immer. Im Supermarkt an der Oranienstraße brennen die Neonröhren, hinter den Glasscheiben stapeln sich Orangensaftkisten, auf den Fensterscheiben prangen große, rote "Penny"-Aufkleber. Ein älterer Herr im grauen Anorak eilt herbei, rüttelt kurz an der Tür, stutzt. Erst auf den zweiten Blick entdeckt er das gelbe Schild: "Wegen Streik geschlossen." - "Recht haben sie", sagt eine Mittvierzigerin, die die Aushänge für Sonderangebote studiert. "Ein Job im Supermarkt, das ist so stressig, das sollte angemessen bezahlt werden."
Mehr als 1.000 Beschäftigte der Supermärkte von Rewe, Penny, Reichelt, Extra und Kaisers haben gestern in Berlin und Brandenburg ihre Arbeit niedergelegt. Sie wollen Druck auf die ins Stocken geratenen Tarifverhandlungen ausüben. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di fordert eine dauerhafte Lohnerhöhung für die 92.000 Beschäftigten des Einzelhandels in Berlin-Brandenburg um 6,5 Prozent und 1.500 Euro Mindestlohn für Vollzeitbeschäftigte. Protestiert wird auch gegen die angekündigte Kürzung der Zuschläge für Arbeitszeiten am Abend und am Wochenende.
"Wir sind die einzige Branche, in der ab 18.30 Uhr Zuschläge gezahlt werden", argumentiert dagegen Nils Busch-Petersen vom Handelsverband Berlin-Brandenburg. Und für 6,5 Prozent Lohnerhöhung sieht er überhaupt keinen Spielraum. "Das ist die höchste Forderung, die es im Bundesgebiet gibt, und hier in einer der schwächsten Regionen." Für die Versorgung der Berliner sei die Streikaktion zudem bedeutungslos.
Tatsächlich bleiben nach Angaben der Rewe Group am Mittwoch in Berlin nur sieben Penny-Filialen und drei Rewe-Filialen geschlossen. In allen anderen Märkten streikt nur ein Teil der Belegschaft. Auch für die Kunden vor dem Penny in der Oranienstraße ist die Konkurrenz nicht weit. "Dann gehen wir eben zu Lidl", sagt eine junge Frau und schiebt ihren Freund weiter.
Die Streikenden haben sich am Mittag zu einer Kundgebung am Alexanderplatz getroffen. Sie tragen weiße Plastikcapes mit roten Ver.di-Quadraten auf dem Rücken und recken selbstgemalte Schilder in die Höhe. "Habe Arbeit, brauche Geld" steht da, und: "Reichtum steigt - Armut auch". Der schrille Ton aus Trillerpfeifen schallt über den Platz.
"Nicht alle aus meiner Penny-Filiale sind gekommen", bedauert ein hochgewachsener Mann in Lederjacke. "Viele haben befristete Arbeitsverträge. Die fürchten um ihren Arbeitsplatz." Das bestätigen auch die Kolleginnen ein paar Meter weiter. Gabriele Grünberg, aus Adlershof angereist, ärgert besonders die geplante Kürzung der Abendzuschläge. "Das sind 180 Euro weniger im Monat. Da verliere ich lieber zwei Tage durch den Streik."
Zum Abschluss stimmen die Streikenden ein selbstgedichtetes Lied an: "Angela will Freiheit wagen und geht den Leuten an den Kragen", tönt es über den Platz. Ein Rewe-Mitarbeiter ergreift das Mikrofon: " 'Jeden Tag ein bisschen besser' schreibt sich Rewe auf die Fahnen", ruft er. "Da haben sie uns doch eine prima Vorlage geliefert." Die Streiks gehen weiter, das erklärt auch Ver.di-Verhandlungsführerin Erika Ritter. Am Donnerstag soll es wieder eine Kundgebung geben. "Wir kommen auf jeden Fall", versichert Gabriele Grünberg. Dann fragt sie. "Fahren die S-Bahnen morgen früh überhaupt? Nicht dass wir noch wegen dem Streik zu spät zum Streik kommen!"
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