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die wahrheitDrogen unserer Zeit

Jede Zeit hat die Drogen, die sie verdient: die Sechzigerjahre LSD, die Siebziger Heroin, die Achtziger Kokain, die Neunziger Ecstasy. Und unser Jahrzehnt? Mundspray!

Jede Zeit hat die Drogen, die sie verdient: die Sechzigerjahre LSD, die Siebziger Heroin, die Achtziger Kokain, die Neunziger Ecstasy. Und unser Jahrzehnt? Mundspray! "Ich bin süchtig danach, Mundsprays auf Tankstellen zu stehlen", offenbarte mir kürzlich eine junge Kollegin. Das sei ja eine recht seltsame Sucht, meinte ich. Sie kenne viele, denen es ebenso ergehe, erwiderte die Sprayerin. Ob sie denn zu den AMlern gehöre?, fragte ich. AMler? Die Anonymen Mundspraydiebe. Sicher besuche sie einmal in der Woche das Treffen der Anonymen Mundspraydiebe, stehe dort auf und sage: "Ich heiße Aline und bin eine Mundspraydiebin. Ich habe seit drei Monaten kein Mundspray mehr auf einer Tankstelle gestohlen." Applaus, Applaus, Applaus ...

Man könnte nun tiefschürfende Fragen stellen: Ist die Droge eher das Mundspray oder doch der Mundspraydiebstahl? Gibt es eine Ursache wie schlechter Atem in der Kindheit? Entsteht der Kick nur auf Tankstellen? Und fällt Mundspraydiebstahl unter das Betäubungsmittelgesetz oder gilt er als Mundraub? Aber das sollte die Betroffene besser privat auf der Couch eines Suchtberaters klären. Denn es gibt nichts Schlimmeres als öffentliches Gerede über Drogen. Wenn Altinternationale des Drogensports mit Opiumkriegsgeschichten von gestern langweilen oder sich pubertäre Nachwuchsapostel mit ihren Entdeckungsräuschen brüsten.

Drogen gehören zur Trias der Privatheit. Drei Dinge sind absolute Privatsache: Sex, Drogen und Religion. Unterm eigenen Dach ist alles erlaubt. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass niemand die Öffentlichkeit mit Sex, Drogen und Religion belästigen darf. Vor allem Christen und Muslime vergessen diese Grundregel des zivilisierten Zusammenlebens ständig, und man muss ihnen immer wieder eins auf die betenden Finger geben, um ihnen deutlich zu machen: Was ein Kardinal Meisner, ein Bischof Huber oder ein Mullah Omar verkünden, ist für die Gesellschaft ungefähr so relevant wie ein saftiger Fleischfurz in den eigenen vier Wänden. Aber heutzutage werden noch die intimsten Innereien in die Öffentlichkeit gezerrt. Man muss sich nur die aktuelle Bestsellerliste im Sachbuchbereich ansehen: auf den ersten zehn Plätzen gibt es mindestens vier Titel über Gott oder ähnlichen religiösen Schwachsinn. Und das allgegenwärtige, nervtötende Sexgetöse verdient sowieso nur verächtliches Schweigen.

Kürzlich feierte ein befreundetes Pärchen, das vor 25 Jahren eine beachtliche Drogenkarriere beendet hatte, still und heimlich das Jubiläum. Ob man für die 25 Jahre eine goldene Ehrennadel bekomme, wollte ich wissen. Das nicht, aber sie würden mir ausnahmsweise eine Drogengeschichte erzählen: Eine junge Bekannte wollte in eine Kreuzberger Wohngemeinschaft ziehen - am Kottbusser Tor, einem der Hauptdrogenumschlagplätze Mitteleuropas. Später habe die junge Dame ganz bedrückt von der Wohnung und den potenziellen Mitbewohnerinnen erzählt: "Es gibt ein Problem: die Dielen." - "Die dealen?!", läuteten beim Pärchen sofort alle Alarmglocken. "Ja, die sind rot."

Gibt es eigentlich irgendwo da draußen eine Gruppe Anonymer Wortspieljunkies? "Ich heiße Michael und bin ..."

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