Kurt Beck und der SPD-Parteitag: Die Sozialdemokratisierung der SPD
Der SPD-Parteitag soll eine Zäsur werden - zumindest eine gefühlte. Die Agenda 2010 hat an der Substanz der Partei gezehrt. Kurt Beck soll ihr ein neues Profil geben.
BERLIN taz Der SPD-Parteitag in Hamburg wird Kurt Beck drei Tage lang zu Füßen liegen. Die Delegierten werden ihn mit einem überragenden Ergebnis als Parteichef wiederwählen. Sie werden ihm wohl auch in allen wichtigen inhaltlichen Fragen folgen. Dahinter verbirgt sich, wie in allen Parteien, eine Sehnsucht nach Führung. Und geführt hat Kurt Beck seine Sozialdemokraten in den zurückliegenden Wochen ohne Zweifel. Viele Genossen seufzen: Endlich! Das honoriert die Partei.
Viel wichtiger als diese Demonstration von Stärke und Macht ist jedoch die damit verbundene Zäsur. Erst mit dem Hamburger Parteitag wird Kurt Beck wirklich das, was er von Amts wegen seit Mai 2006 sein soll: der Vorsitzende der SPD. Erst jetzt beginnt er mit seiner eigentlichen Aufgabe: die SPD nach der rot-grünen Reformära neu zu definieren. Ihr zu einem modernen sozialdemokratischen Selbstverständnis jenseits der Agenda 2010 zu verhelfen.
Die Voraussetzungen dafür hat Beck mit seinem Vorschlag geschaffen, das Arbeitslosengeld I an ältere Menschen länger als bisher zu bezahlen. Diese Idee zielt mitten ins Herz der enttäuschten sozialdemokratischen Stammwähler: Millionen von Facharbeitern und Angestellten, die heute im Schnitt über 50 Jahre alt sind. Für sie gilt eine schlichte Wahrheit: Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen. Und wer über 30 Jahre lang in ein Solidarsystem eingezahlt hat, soll im Fall der Arbeitslosigkeit auf mehr Solidarität rechnen können als jemand, der nie etwas für andere getan hat.
Dieses Empfinden für elementare Ungerechtigkeiten hat Beck auf unzähligen Reisen durchs Land gespürt. Bei vielen Betriebsbesuchen in den zurückliegenden Monaten hörte er immer wieder von den gleichen Nöten und Ängsten: längere Arbeitszeiten, Rente mit 67, Lohndrückerei durch Leiharbeit, gekürztes Arbeitslosengeld. Er lernte, dass er gegen das erschütterte Selbstwertgefühl vieler Menschen mit rationalen, kühlen Erklärungen aus der Politikerwelt nicht ankam. Er beschloss, an einem Punkt ein Zeichen zu setzen. Mit einem längeren Arbeitslosengeld I will er zeigen, dass seine Partei nah bei den Menschen ist.
Dass diese Idee von Franz Müntefering, dem sozialdemokratischen Arbeitsminister, so hartnäckig bekämpft, dass sie von vielen Kritikern symbolisch aufgeladen und als Abkehr von der Agenda 2010 interpretiert wird - das hilft Beck nur. Es macht seinen Schritt größer, als er tatsächlich ist. Es hebt diesen Versuch, der SPD ein soziales Profil zurückzugeben, von anderen seiner vielen gescheiterten Versuche ab. Als Beck im August 2006 ein Zerfallen der Gesellschaft in drei Teile ausmachte - in Gewinner, Verlierer und eine tief verunsicherte Mitte -, als er forderte, dass sozialer Aufstieg durch Leistung wieder möglich werden müsse, hörte kaum jemand richtig hin.
Der SPD-Vorsitzende findet für seine Politik allerdings auch nicht die richtigen Worte. Von einem "Linksruck" will er im Zusammenhang mit dem verlängerten Arbeitslosengeld I nicht reden, auch nicht von einer "Sozialdemokratisierung". Er spricht lieber undeutliches Beck-Deutsch. Den dramatischen Überlebenskampf der SPD beschreibt er als ein "Hinzufügen neuer Schritte zur bisherigen Politik". Und er sagt, dass die Partei "ein Stück Wärme" brauche.
Dieses "Wärme" ist ein zentraler Teil seiner Politik. Für 2008 verordnet Beck der SPD-Führung einen Dialog mit den Menschen, die sich von der SPD abgewandt haben. Er selbst will das ganze Jahr im Land unterwegs sein.
Beck steht erst am Anfang eines komplizierten Rettungsversuchs. Wie seine Nach-Agenda-SPD aussehen soll, weiß er selbst noch nicht. Wo diese Partei mit ihrer Sozialdemokratisierung weitermacht - Hartz IV? Bildung? -, auch nicht. Auf dem Parteitag wird dazu wenig zu hören sein. JENS KÖNIG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!