Sind alles nur Märchen

In vielen orientalischen Ländern sind Erzähler an öffentlichen Plätzen heute noch üblich. In Düsseldorf geht es zwei Wochen lang um die Sagen und um Geschichten aus längst vergangenen Zeiten

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Es war einmal ein Dichter, der hielt das Leben für das schönste Märchen, da es von Gotteshand geschrieben sei. Und als Gott 1805 seinen Griffel ansetzte, um den ersten Strich im Märchen dieses Dichters zu tun, malte er zunächst einen Schuhmacher und eine nach Schnaps miefende Wäscherin, die im Dichtermärchen die Eltern spielen sollten. Beste Voraussetzungen für ein gutes Märchen, dachte sich Gott: ein Schuhmacher, eine alkoholkranke Wäscherin – jetzt kann es nur märchenhaft werden.

Und das wurde es auch: Gott zeichnete und wedelte mit seinem Stift, ließ seine Figur wachsen und Schicksale durchleiden, dann wieder Erfolge genießen. Ganze 70 Jahre lief das so, dann ging Gott die Tusche aus und der Dichter verblich. Und wäre das Leben, obschon es ein Märchen sei, nicht endlich, lebte er womöglich noch heute: der Däne Hans Christian Andersen. 200 Jahre wäre er in diesem Jahr geworden, ein märchenhaftes Alter. Dennoch: Was geblieben ist von ihm, lässt Andersen immer wieder auferstehen.

Bei den diesjährigen Düsseldorfer Märchenwochen ist es Achim Brock, der einen ganzen Nachmittag mit Andersens Märchen füllt. Durch Märchen sei er zum Schauspieler geworden, sagt Brock, der sich gerne Kostüme überstreift, wenn er von Andersens Schneekönigin erzählt, von des Kaisers neuen Kleidern, dem hässlichen Entlein. Dass die Märchen des weltberühmten Dänen beim Düsseldorfer Festival ihren Platz haben, ist im Jubiläumsjahr wohl selbstverständlich. Aber lange nicht alles: Neben gemeinhin bekannten Geschichten von Andersen, den Grimms und so fort, finden sich auch weniger populäre Abende, ja, selbst Erwachsene „auf der Suche nach Liebe“ könnten sich „erotische Inspirationen“ holen, versprechen die Märchenwochen-Veranstalter Frank Walber und Martina Sandte. Und Erwachsene suchen ja bekanntlich häufig nach Liebe.

Märchen sind eben keine Gattung, die sich ausschließlich an Kinder richtet. So verquicken die Märchenwochen auch die gängige Rezitation mit Vorträgen, Musik oder gar Kulinarischem unter dem Titel „Zu Gast bei Grimms“ – allerdings nicht zu märchenhaften, sondern eher zu gruseligen Preisen: das Abendmahl kostet üppige 56 Euro. Andere Veranstaltungen sind da schon erschwinglicher und vielleicht auch nahrhafter, zumindest für den Geist. Vor allem, wenn sie sich Märchen widmen, die schon betagter sind. Denn auch das hat Hans Christian Andersen gesagt: „Es geht mit Geschichten wie mit vielen Menschen, sie werden mit zunehmendem Alter schöner, und das ist erfreulich.“

3. Düsseldorfer Märchenwochen12. bis 26. NovemberInfos: 0211-370243