KOMMENTAR VON KARIM EL-GAWHARY ZUM BESUCH VON ÄGYPTENS PRÄSIDENT MURSI
: Nicht den Lehrmeister spielen

Jahrzehntelang hat Deutschland in Ägypten die Diktatur unterstützt

Trotz aller Turbulenzen kam der ägyptische Präsident Mursi auf eine Kurzvisite nach Berlin. Der gewählte Muslimbrüder-Präsident brauchte dringend ein Erfolgserlebnis, nachdem die Proteste im eigenen Land nicht verstummen. Da kamen eine deutsche Geldspritze und ein wenig außenpolitisches Rampenlicht gerade recht.

Die gemeinsame Pressekonferenz von Mursi und Merkel verlief im absehbaren Rahmen. Mursi versicherte, den Demokratisierungsprozess voranzutreiben, und versprach einen ägyptischen Rechtsstaat. Er betonte auch, dass die Ausrufung des Notstandes in den Suezkanalstädten eine temporäre Maßnahme sei. Mursi gab sich also ganz als Verbaldemokrat.

Den Lehrmeisterfinger ließ Merkel weitgehend in der Tasche. Gut so, denn sie erinnert sich sicherlich noch an die drei Jahrzehnte andauernde deutsche Unterstützung der ägyptischen Diktatur im Namen der Stabilität. Oder sie hat über die guten gegenwärtigen deutschen Beziehungen zu Saudi-Arabien nachgedacht, wo die Scharia als Verfassung gilt.

Jedenfalls beging die Bundeskanzlerin nicht den Fehler, in den innenpolitischen Auseinandersetzungen in Ägypten Partei zu ergreifen. Der Streit über den richtigen Weg in die Zukunft muss von den Ägyptern ausgetragen werden. Merkel forderte aber von Mursi einen Dialog mit allen demokratischen Kräften. Das ist vernünftig.

Denn gegenwärtig ist das für Ägypten der einzige Weg nach vorne. Noch vor wenigen Tagen hatte die Nationale Rettungsfront, die größte ägyptische Oppositionsbewegung, eine Einladung in den Präsidentenpalast abgelehnt. Sie hatte gefordert, dass zunächst eine Regierung der Nationalen Rettung geschaffen werden müsse und ein Komitee, das die kontroverse neue Verfassung überarbeitet.

Zu Ersterem äußerte sich Mursi in Berlin klar. Der richtige Zeitpunkt für eine neue Regierung sei, wenn in den nächsten Monaten ein Parlament gewählt werden wird. Dagegen versprach Mursis Sprecher in Kairo, nun tatsächlich ein Gremium zu schaffen, das ausgewählte Verfassungsartikel überarbeiten könnte.

Nach den blutigen letzten Tagen auf der Straße sind die verhärteten Fronten in Kairo also politisch in Bewegung geraten. Am Ende gilt: Ägypten wird nie von den Muslimbrüdern allein regiert werden können, aber im Moment sicherlich auch nicht ohne sie.