Vereintes Zypern in weiter Ferne: Das Spiel der alten Männer

Je länger die Verhandlungen zwischen der Türkei und der EU dauern, umso mehr fragen sich viele Zyprioten, warum ihre Insel wiedervereinigt werden sollte.

60 Prozent der Nordzyprioten befürworten eine Zweistaatenlösung. Bild: ap

Die frühere Sophien-Kathedrale in Nordnikosia war einst die größte christliche Kirche im Nahen Osten. Heute heißt sie Selimiye-Moschee und dient den muslimischen Zyprioten als Gebetshaus. Doch an diesem Samstagabend Anfang November kommen in der frühgotischen Halle, die fast halb so groß ist wie der Kölner Dom, gerade einmal sechs Gläubige zum Abendgebet zusammen. Sehr viel besser besucht ist die Latino-Bar gleich gegenüber. Zu "Rinderleber in Weinsauce" werden an die zehn italienische und südamerikanische Weine angeboten. Später - am Ende dieser dreitägigen Reise, zu der die deutsche Vertretung der EU-Kommission rund 30 Journalisten nach Zypern eingeladen hat - erfahren wir, dass die Altstadt Nordnikosias immer mehr zum Zentrum sogenannter Festlandstürken werde. Streng gläubige Muslime würden mit Unterstützung der Regierung in Ankara angesiedelt, um so die Bevölkerungszahl der Türken auf Zypern zu erhöhen. Doch an diesem Samstagabend ist in der Altstadt Nikosias keine einzige Frau mit Kopftuch zu sehen.

Überhaupt ist im türkischen Teil Zyperns vieles anders, als Touristen erwarten. "Wenn man den Norden der Insel besucht, erlebt man einen kleinen Kulturschock. Man betritt einen rückständigen Teil des Orients, eine andere Welt", so heißt es in gleich mehreren Reiseführern. Doch diese andere Welt sieht inzwischen oft so aus wie unsere. Nur wenige hundert Meter entfernt von der seit der türkischen Okkupation 1974 verlassenen Geisterstadt Varoscha hat eine Mercedes-Filiale eröffnet. Russen, Israelis und natürlich auch Türken sehen die Insel als billiges Ferienziel und sorgen so für einen Villenbauboom. Die Stromversorgung Nordnikosias wird mit Hilfe von EU-Geldern modernisiert, die Altstadt mit UN-Mitteln saniert. So erlebt der ärmere Teil der geteilten Insel inzwischen ein Wirtschaftswunder. Um 14 Prozent wuchs das Bruttoinlandsprodukt hier 2006, der Süden brachte es nur noch auf 3,8 Prozent.

Der türkische Norden der geteilten Insel war lange Zeit so etwas wie der Osten des geteilten Deutschland. Ferngesteuert von einer Fremdregierung, jedem Versuch, das Land wiederzuvereinigen, abgeneigt. Doch dann sagten die Türken plötzlich Ja, die Griechen jedoch Nein zu den Plänen des damaligen UN- Generalsekretärs Kofi Annan, das Land zu einem föderativen Staat mit zwei "Zonen" zu machen. Jetzt stand die griechische Führung unter Präsident Tassos Papadopoulos am Pranger der internationalen Gemeinschaft. "Die führenden Politiker im Süden sind Juristen, sie vertreten eine legalistische Position. Der Chef der Türken ist dagegen ein Elektroingenieur, ein Praktiker", so wird die Personallage in diplomatischen Kreisen Nikosias eingeschätzt. Eine Resolution des Bundestages zum Zypernproblem fiel in diesem Jahr so protürkisch aus, dass sie ins offizielle Informationsmaterial des Nordens aufgenommen wurde. Aber auch ein mit 55 Jahren vergleichsweise junger Elektroingenieur kann sich dem Spiel der alten Männer, die mit ihren festgefahrenen Positionen seit Jahrzehnten jeden Fortschritt auf der Insel verhindern, nicht entziehen. Als Mehmet Ali Talat noch nicht Präsident war, sondern den erfolgreichen Aufstand gegen Volksgruppenführer Denktasch organisierte, wandte er sich auch gegen die fortdauernde Stationierung von rund 40.000 türkischen Soldaten in Nordzypern. Nun jedoch bezeichnet er die Okkupation als "Emanzipation" und verweist im Übrigen darauf, dass schließlich auch 4.500 griechische Soldaten auf Zypern stationiert seien. Es ist wie bei dem Wettlauf zwischen Hase und Igel - nur mit entgegengesetztem Ziel. Hier geht es darum, zu zeigen, dass der Gegner zuerst "da" war, zuerst ein Unrecht begangen hat. Auf welches der andere dann nur reagiert. Eine Form der Entschuldigung der eigenen Schuld, die im Übrigen auch Tschechen und Deutsche in Böhmen glänzend beherrschten. Für das Zusammenleben auf Zypern macht das wenig Hoffnung.

Tatsächlich nimmt der Wunsch nach einer Wiedervereinigung in beiden Teilen Zyperns ab. Bei einer Meinungsumfrage im Norden sprachen sich 60 Prozent für eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Nach UN-Angaben sind Politiker immer weniger an bilateralen Treffen interessiert. 49 Prozent der Griechen haben den Norden nur ein- bis zweimal besucht und beabsichtigen nicht, das erneut zu tun. In Pyla, dem einzigen Dorf, in dem nach offizieller Propaganda griechische und türkische Zyprioten auch weiterhin "zusammenleben", gibt es in Wahrheit keine einzige Organisation, in der beide Volksgruppen vertreten sind.

Und so hat die Debatte über Alternativen zur Föderation längst begonnen. Das häufigste Schlagwort lautet dabei "Taiwanisierung". Ziel Nordzyperns ist demnach die schrittweise Anerkennung ihres international bisher geächteten Gebildes durch immer mehr Staaten. Die Erwartungen richten sich dabei vor allem auf den Nahen Osten, aber auch auf Zentralasien. Im Süden dagegen hofft man weiter auf die EU und den "Hebel" der Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Wenn die Türkei Mitglied in der EU werden wolle, dürfe sie die Wiedervereinigung Zyperns nicht blockieren. "Wir", so Außenministerin Erato Kozakou-Marcoullis "sind der einzige unter 27 EU-Staaten, der wirklich vom Beitritt der Türkei profitieren wird. Die Prinzipien der EU sind unsere letzte Hoffnung". Die von ihr gewünschte Verurteilung des "illegalen" Besuchs des türkischen Präsidenten Gül in Nordzypern von Mitte September durch den EU-Fortschrittsbericht blieb jedoch aus.

Je länger die Verhandlungen zwischen der Türkei und der EU dauern, umso mehr schwindet das Bewusstsein, warum Zypern eigentlich wiedervereinigt werden sollte. Nicht nur im Land selbst, sondern auch in der internationalen Gemeinschaft. In UN-Kreisen in Nikosia geht man davon aus, dass die Zeit für eine Wiedervereinigung abgelaufen ist. In den unzähligen Gesprächen dieser Reise wurde nur ein einziges Mal eine Vision für ein vereinigtes Zypern deutlich, und auch dies nur auf Nachfrage. Von einem neuen "Miteinander im Mittelmeerraum" sprach Ferdi Sabit Soyer, Vorsitzender der stärksten nordtürkischen Partei, der sozialistischen CTP. Für dieses Miteinander sollte man dann aber auch etwas tun. Vier Jahre dauert inzwischen die Diskussion über die Öffnung eines Grenzübergangs in der Ledrastraße im Herzen der Altstadt. Während die Soldaten, die hier an der Green Line Wache schieben, bereitwillig über ihre Situation Auskunft geben, inszenieren die Politiker beider Seiten weiterhin das Schauspiel Berliner Mauer - mit Sandsäcken, vermauerten Fenstern und Niemandsland. Dabei sind bereits fünf Grenzübergänge geöffnet, fahren jeden Tag tausende türkische Pendler zur Arbeit in den Süden.

Die Öffnung der Ledrastraße wäre ein Symbol. Wichtiger aber könnte etwas anderes werden. Rund 10 Millionen Euro wird die EU in den nächsten sechs Jahren für "Versöhnung" und "Vertrauensbildung" ausgeben. In wenigen Tagen sollen die angeschriebenen NGOs ihre Projekte dafür vorstellen.

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