Nächtliche Abstimmung über Gentechnik-Gesetz: Müde Politiker sollen Debatte ersparen
Am Freitag wird im Bundestag über das umstrittene neue Gentechnikgesetz entschieden. Um fünf Uhr morgens - um Debatten zu vermeiden, sagen Kritiker.
BERLIN taz | Nach monatelangen Streit ist das von Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) ausgearbeitete neue Gentechnikgesetz jetzt im Bundestag angekommen. Der Gesetzesentwurf, der Freitag in aller Frühe in erster Lesung im Bundestag verabschiedet werden soll, enthält zahlreiche Erleichterungen für die Gentechindustrie. Sowohl für das Arbeiten in geschlossenen Anlagen als auch für Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen sollen nach dem Willen der Regierungskoalition einige rechtliche Hürden abgebaut werden. Umwelt- und Ökoanbauverbände befürchten, dass das Gesetz endgültig das Ende der Koexistenz zwischen gentechnikfreier und Gentechlandwirtschaft eingeläutet.
"Mit diesem Gesetz wird die Wahlfreiheit der Verbraucher abgeschafft", sagt Felix Prinz zu Löwenstein, der Vorsitzende beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). In einem offenen Brief an die Parlamentarier fordern der BÖLW und rund 30 andere Verbände "entscheidende Nachbesserungen". Unterstützung erhalten die Umwelt- und Ökoorganisationen aus der Wirtschaft. Unter anderem haben die Hersteller von Ritter-Sport-Schokolade und Bionade sowie der Verband der privaten Brauereien unterschrieben. Vor allem die Haftungsregelungen und die zu geringen Sicherheitsabstände zwischen gentechnisch und konventionell bewirtschafteten Feldern seien "unzureichend".
Anders als zuvor angekündigt will Seehofer die verschuldungsunabhängige Haftung nicht abschaffen, auch ein von der Industrie getragener Haftungsfond scheiterte an der Weigerung der Gentechbetreiber. Gentechfrei wirtschaftende Bauern haben nur dann Anspruch auf Entschädigung, wenn die Kontaminationen 0,9 Prozent überschreiten.
Seehofer hätte weitergehen können, ohne gegen EU-Recht zu verstoßen, meint Tina Loeffelbein von Greenpeace. So habe das österreichische Bundesland Steiermark eine Schwelle von 0,1 Prozent für Haftungen eingeführt - ohne dass "die EU-Kommission dies beanstandet" habe.
Vorgesehen ist im Gesetz auch, dass Gentechpflanzen künftig ganz aus dem Regelungsbereich des Gesetzes herausgenommen werden können. Wenn sie als "sicher" eingestuft und wenn sie in einem "geschlossenen System" angebaut werden. Dafür könnte aber schon ein Maschendrahtzaun ausreichen, befürchtet Ulrike Höfken (Grüne).
Auf Kritik stößt zudem, dass das Gesetz "in einer Nacht-und-Nebel-Aktion" im Bundestag behandelt wird, wie der Naturschutzbund Deutschland befürchtet. Laut Tagesordnung wird sich der Bundestag am Freitagmorgen um kurz vor fünf Uhr mit dem Gesetz beschäftigen - während einer Sitzung, die am heutigen Donnerstag begonnen hat. "Es kann nicht sein, dass wenige, völlig übermüdete Parlamentarier über Änderungen am Gentechnikgesetz beraten, die in der Bevölkerung hoch umstritten sind", sagt Stefanie Hundsdorfer vom Netzwerk Campact.
"Das Gentechnikgesetz ist bewusst ganz nach hinten geschoben worden, damit es keine Debatte im Parlament gibt", sagt Bärbel Höhn (Grüne): "Minister Seehofer will wohl nicht die mündlichen Prügel für ein schlechtes Gesetz einstecken." Gemeinsam mit dem BÖLW ruft Campact zu einer Protestaktion per Internet gegen die "unmögliche Tagesordnung" auf.
Infos: www.campact.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!