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Kolumne MärchenDie Frau mit dem goldenen Colt

Manchmal werden Touristinnen dafür gecastet, dass sie aussehen, wie Touristinnen eben aussehen.

Vor vielen, vielen Jahren, als Märchen noch die Wahrheit waren, da bekam eine fleißige Studentin - deren Name nichts zur Sache tut, denn mittlerweile ist die Dame zu einer international geschätzten Wissenschaftlerin herangereift, und die Geschichte, die es hier zu erzählen gilt, soll davon unbeeinflusst für sich sprechen -, diese Jungforscherin also überkam eines Tages große Lust, ferne Länder zu bereisen, fremde Kulturen kennen zu lernen und das Erbe des Großvaters selig, der ein weltweit berühmter Völkerkundler gewesen war, solcherart bei Wein und Gesang im trauten Kreise Gleichgesinnter auf das Feinste zu verjubeln.

Nach Thailand sollte die Reise zunächst gehen. Hier wollte sich Corinna S., wie wir die Person, um die es hier gehen soll, zum Zwecke leichteren Erzählflusses nennen wollen, den Einwohnern auf das Trefflichste anpassen, quasi eine von ihnen werden und sich hernach unerkannt unter das Volk mischen, um im Schutze der perfekten Mimikri ihre Studien umso besser betreiben zu können.

In Thailand angekommen, hob Corinna S. gleich an, unbotmäßig zu schwitzen, und selbst in Bangkok, wo schon damals, in der Zeit, als Menschen und Tiere noch die gleiche Sprache sprachen, eher viele Touristen unterwegs waren, fiel Corinna S. mit ihrer gefühlten Größe von 3,20 Metern gewaltig auf. Einmal sah sie sogar, wie ein kleines Mädchen bei ihrem Anblick reflexartig die Fäustchen vor das erschrocken aufgesperrte Mäulchen schlug.

So zogen die Wochen ins Land, Corinna S. hatte mittlerweile einen gewissen Gefallen daran gefunden, sich in Gold und Thaiseide zu hüllen, und das Erbe des Großvaters selig neigte sich bereits dem Ende. Beinahe schien es, als müsse die auf drei Monate angelegte Forschungsreise mangels wie von Zauberhand nachwachsender Zahlungsmittel vor der Zeit abgebrochen werden. Doch da geschah es eines Abends, dass Corinna S. von einem kleinen Weiblein in gebrochenem Englisch angesprochen wurde. Dieses Weiblein hatte Corinna S. schon seit einiger Zeit einen Unterschlupf in einem eher minderprächtigen Hostel gewährt, und nun fragte es frank und frei heraus, ob Corinna S. nicht womöglich Lust habe, sich hundert Dollar zu verdienen, indem sie als Statistin in einem James-Bond-Film, für den ein paar Szenen in Bangkok gedreht würden, aufträte.

Ei, da wurden die Augen und Ohren unserer fleißigen Studentin aber so groß wie Mühlräder. Wie denn das zuwege gehen solle, wollte sie vom Weiblein wissen, und das Weiblein offenbarte das Geheimnis: Es sei ganz üblich, dass, immer wenn Filmszenen in Bangkok gedreht werden sollten, von den Produktionsfirmen an die Hotels und Gasthäuser Personenbeschreibungen gesuchter Statisten verteilt würden. Der Vermittler bekäme Geld dafür und der erfolgreich vermittelte Statist aber auch. Für diesen Film würden halt jetzt unter anderem touristisch aussehende Mitteleuropäer gesucht.

Am Drehtag fand sich Corinna S. am genannten Drehort in Bangkoks Chinatown ein und staunte nicht schlecht, dass sie sich tatsächlich auf der Liste befand und in die abgesperrte Zone eingelassen wurde, in der in der Nacht ein bombastischer chinesischer Umzug mit Schießerei gedreht werden sollte. Dann ging es nach vielen Stunden los! Corinna S. und die anderen Statisten durften endlich die Straße säumen und den Umzug bejubeln. Überall waren Kamerawagen, Kameras oben, Kameras unten. Corinna S. war immer wieder versucht, hineinzublicken, doch wer in die Kamera blickte, der würde später rausgeschnitten werden, so ging die Legende in Statistenkreisen

Insgesamt verbrachte Corinna S. beinahe neun Stunden am Drehort.

Als "Der Mann mit dem goldenen Colt" dann viel später in die deutschen Kinos kam, da hat sie sich ihn siebenmal hintereinander angesehen. Zweimal, ganz kurz, hat sie sich auch jedes Mal gesehen. Sie fand sich dick und touristisch, aber sie war nicht rausgeschnitten.

Und wenn sie nicht gestorben ist, dann ist Corinna S. noch heute verdammt stolz darauf.

MÄRCHEN Fragen zu Bond? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE

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