Streiks in Frankreich: Busse und Bahnen bleiben im Depot

In Frankreich streiken Angestellte des Transportwesens sowie von Gas- und Elektrizitätswerken - trotz einer ersten Annäherung zwischen Regierung und Gewerkschaften.

Die Streikenden argumentieren, heute sei es stressiger als vor 60 Jahren Bild: reuters

PARIS taz "Trafic nul" (kein Verkahr), so steht es auf der elektronischen Tafel am Eingang zur Métro-Linie 11 in Paris. Die Rolltreppen, unterirdischen Gänge und Bahnsteige bleiben den ganzen Tag über verwaist. Ähnlich ist die Situation fast überall im Land: Die Franzosen hatten Zeit, sich darauf einzustellen, dass dieser erste Tag im landesweiten Streik der Transportarbeiter und Gas- und Elektrizitätswerker stark befolgt wird. Viele sind zu Hause geblieben. Die anderen fahren Rad, Skates oder gehen zu Fuß. In Paris ist an diesem Tag weniger Autoverkehr auf den Straßen als sonst. Auf den Trottoirs sind kaum Stöckelabsätze zu sehen. Streiktage sind Turnschuhtage.

"RATP enculés" - Pariser Verkehrsbetriebe Arschlöcher - hat jemand mit Filzstift auf den Fahrplan an einer Haltestelle der Buslinie 26 geschrieben. Ein anderer hat versucht, die Beleidigung wegzuwischen. Die Beschäftigten der Nahverkehrsbetriebe RATP, der Bahn SNCF und der Gas- und Elektrizitätswerke streiken, um ihre Sonderrenten zu verteidigen. Diese Regelung war 1945 eingeführt worden, um für Beschäftigte mit harten Arbeitsbedingungen die Lebensarbeitszeit zu verkürzen. Präsident Sarkozy und seine Regierung will sie abschaffen. Begründung: Die Arbeitsbedingungen seien heute weniger hart und die Lebenserwartung sei gestiegen. Die 500.000 betroffenen Beschäftigten sollen länger arbeiten.

Die Streikenden argumentieren, dass ihr Stress heute vielfach größer ist als vor 60 Jahren. Zweitens haben sie vorgerechnet, dass sie länger arbeiten sollen und eine niedrigere Rente kriegen werden. Das steht in krassem Widerspruch zu Sarkozys plakativem Slogan: "Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen."

Die meisten Umfragen und jene Mehrheit von Medien, die sich in Händen der sarkozyfreundlichen Rechten befindet, berichten seit Wochen, die Proteste der Beschäftigten zum Erhalt ihrer sozialen Errungenschaft seien unpopulär. Doch schon am ersten Streiktag am 18. Oktober, als bei der Bahn sensationelle 75 Prozent der Beschäftigten die Arbeit niederlegten, zeigte die Öffentlichkeit Verständnis. Nach dem Erfolg ihres ersten Streiktags hofften die Gewerkschaften, die Regierung würde Verhandlungsbereitschaft zeigen. Die Gewerkschaften verlangten globale Dreierverhandlungen, an denen sowohl Gewerkschaften als auch die Chefs der betroffenen Unternehmen und die Regierung teilnehmen sollten. Die französische Spitze blieb stur. Erst am Mittwochabend, dem zweiten Streiktag, zeigte Arbeitsminister Xavier Bertrand Verhandlungsbereitschaft zu Dreiergesprächen. Der Chef der CGT, der größten Gewerkschaft, signalisierte erstmals die Bereitschaft, auf globale Verhandlungen zu verzichten - zugunsten von solchen auf der Ebene von jedem betroffenen Unternehmen.

Der Streik am Mittwoch fand trotz der Annäherung statt. An den Demonstrationen von EisenbahnerInnen beteiligten sich in den Universitätsstädten zahlreiche Studenten. Aus Protest gegen das Autonomiegesetz, das die Hochschulfinanzierung liberalisiert, waren gestern 33 der 85 Universitäten blockiert. Vielerorts entschieden Vollversammlungen in den streikenden Betrieben schon gestern Mittag, dass der Streik heute weitergeht.

Die Verhandlungsbereitschaft von CGT-Chef Thibault sorgt bei der streikenden Basis für durchwachsene Reaktionen. In Demonstrationszügen in Limoges, Saint-Étienne und Paris meldeten sich immer wieder EisenbahnerInnen zu Wort, die ihre Rentenregelungen auf jeden Fall verteidigen wollen. Notfalls auch gegen die Spitze der CGT.

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