Im Montagsinterview: Rolf Hampel: "Der Senat meidet schwule Projekte"
Seit fast 25 Jahren engagiert er sich in der Berliner Homosexuellenbewegung, heute ist Rudolf Hampel einer ihrer einflussreichsten Mitstreiter. Sein Motto: "Lieber in der zweiten Reihe Strippen ziehen, als in der ersten ständig niedergemacht zu werden."
taz: Herr Hampel, wie lange leben Sie in Berlin?
Rudolf Hampel: Aufregende 24 Jahre.
Sind Sie ein Überlebender?
Inwiefern?
Sie haben die Aidsepidemie infektionsfrei überstanden.
Richtig, ich bin ein Überlebender der Aidsepidemie.
Sie kamen zu einer Zeit, als in der Berliner Schwulencommunity Aids der pure Horror war.
Ich kam mitten aus dem Ruhrpott. In die Freiheit, ins schwule Paradies. Da wollte ich hin. Ich wollte dabei sein. Ich war 24, beim Coming-out sowieso spät dran und wollte Spaß.
Jahrgang 1956 und Bergarbeiterspross aus Wanne-Eickel, ist Vorstandsmitglied von Mann-o-Meter, dem schwulen Bürgerrechtszentrum am Nollendorfplatz, sowie Mitglied des Berliner CSD e. V. Die Bilanz seiner Arbeit gegen HIV: "Uns Schwulen geht es besser, als wir hoffen durften." Doch vor allem unter jugendlichen Homosexuellen und Migranten steige die Infektionsrate. Am Samstag ist Weltaidstag. Die Berliner Aidsbewegung wird ihn mit Aktionen begleiten und zur Aufklärung nutzen.
Was hat Sie davor bewahrt, sich mit dem HI-Virus anzustecken?
Meine Hysterie.
Pardon?
Ich hatte schon von Bekannten aus Köln von dieser seltsamen Immunschwächekrankheit gehört. Man munkelte viel. Und das hat mich besorgt. Und ich hörte von ersten Tests in Krankenhäusern. Sexuell hielt ich mich also zurück.
Wie hat es sich angefühlt, in Berlin schwul zu sein?
Ich dachte, verdammte Kacke, ich bin ein Stückchen zu spät gekommen. Jetzt sind die lustigen Zeiten
passé?
Ja, so schien es. Das aber hat mir vermutlich den Arsch gerettet.
Wie haben Sie sich davor bewahrt, mehr als hysterisch zu werden?
Ich war einer der Ersten, der mit dem Testen angefangen hat, um nicht irre zu werden. Und mich trieb meine Neugier: Ich wollte alles wissen. Was ist an dieser Krankheit dran? Schwulenkrebs hieß sie damals bei vielen. Keine Frage dazu konnte ernsthaft beantwortet werden. Ist Blasen gefährlich? Was ist mit Küssen? Konnte man sich anstecken bei bloßem Hautkontakt?
Wie haben Sie persönlich auf die Aidskrise reagiert?
Ich bin in eine Beziehung geflüchtet
die sexuell libertär gelebt wurde?
Nein, monogam natürlich. Sexuelle Treue war ja die Idee, um der Aidsgefahr zu entgehen.
Und?
Das habe ich sehr lange durchgehalten. Aber ehe wir wussten, dass nur Kondome schützen, kam mir eine sexuell monogame Bindung nötig vor.
War das Konzept vom Safer Sex nicht geläufig?
Das mussten wir doch erst entwickeln. Keiner konnte genau wissen, dass Blasen ungefährlich ist und kondomloser Analverkehr brandgefährlich.
Der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker spricht von dieser Zeit als eine des monströsen Lustverzichts schwuler Männer.
So habe ich es auch gesehen. Viele sind überhaupt nicht mehr ausgegangen, sie lebten nicht monogam, sondern aus lauter Angst abstinent. Damals wurde ernsthaft diskutiert, dass Blasen auch nur mit Kondom ginge. Nein, das ging alles gar nicht. Hätte man ja gleich auf einem Luftballon rumbeißen können.
Sie haben sich in der schwulen Bürgerrechtsbewegung engagiert - wegen Aids hauptsächlich?
Selbstverständlich. Ich bin da reingewachsen. Das hatte mit Engagement zu tun - und dann, würde ich sagen, mit Beharrungsvermögen. Wir waren bei den galoppierenden Infektionszahlen einfach gezwungen, am Ball zu bleiben.
Wie viele Freunde haben Sie durch Aids verloren?
Wenige. Klingt vielleicht etwas schräg, aber da habe ich Schwein gehabt. Jörg Stubben, mein alter Freund und Lehrer und Förderer, starb - das hat mich schwer getroffen.
Wann war das?
Oh, das habe ich verdrängt, ich weiß es nicht. Er war mein schlimmster Verlust.
Als Teil der schwulen Antiaids-Community fühlten Sie eine gute Resonanz seitens des CDU-geführten Senats?
Wir hatten sogar Glück, dass die CDU am Ruder war. Die SPD hätte vermutlich den Ansatz "Alles regelt der Staat" durchgedrückt - aber das hätte uns nicht weitergeholfen.
Mögen Sie uns das erläutern?
Die SPD glaubte damals an den Staat - aber der hätte die Krise nur verwaltet. Die CDU hatte sich einfach gesagt: "Wir haben keine Ahnung, also fragen wir die Betroffenen, was man da tun kann." So fing sie an, mit uns, den Selbsthilfeinitiativen, zusammenarbeiten. Die Aidsgelder flossen in Strömen.
Gab es keine Berührungsängste?
Doch. Die Kohle für das schwule Bürgerrechtszentrum Mann-o-Meter wurde uns noch über die Berliner Aidshilfe zugeschleust. Der Senat wollte Geld geben, aber nicht direkt an schwule Gruppen.
Schwules war igittigitt?
Mag sein. Aber das hat sich wegen der drohenden Gefahren rasch verwachsen.
Gab es bei Ihnen einen Tag, an dem Ihre Hysterie einer vernünftigen Risikoeinschätzung gewichen war?
Das war schleichend. Ich hatte mich immer mit dem Thema auseinandergesetzt, schwulen Männern ist das eigene Körperliche ja immer bewusst. Ich stellte einfach fest, dass ich nicht die Nerven verlieren muss.
Was wurde aus Ihrer Beziehung?
Die zerfloss einfach. Ich konnte mein Flittchendasein wieder aufnehmen, das war die Folge der richtigen Einschätzung zu dem, was Aids genau bedeutet. Man konnte verhüten und musste nicht mehr sehr auf Lust verzichten.
Sie sind politisch eher links eingestellt. War es für Sie überraschend, mit einer Partei zusammenarbeiten zu können, der man zutiefst misstraute?
Ja. In der CDU gaben Politiker wie Ulf Fink den Ton an, nicht so ein Gauweiler-Typ wie Jörg Schönbohm. So bekam Berlin quasi Modellcharakter - zu uns kam sogar eine Pariser Delegation, weil denen die Aidskrise nur so um die Ohren flog. Der Senat hatte plötzlich ein besseres Image.
Empfinden Sie so etwas wie Glück, diese Jahre mitgestaltet zu haben? Berlin als eine Stadt, die wieder ein schwules Dorado werden konnte wie zuletzt in der Weimarer Republik?
Schwierige Frage. Ich würde sagen: Wir haben uns engagiert - und wir waren von der Straße. Es ist ein gutes Gefühl, sich zu engagieren. Man hat mit Leuten zu tun und das führte zu etwas Gutem. Wir haben erst gelernt, wie leicht es ist, mit Politikern zu tun zu haben. Mein Bild von Politikern war doch, dass sie unendlich entrückt sind.
Sind sie es nun nicht mehr?
Längst nicht mehr. Das erste Mal im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses dachte ich: "Mensch, was sitzen denn da für Leute?" Ich hatte keine Illusionen mehr. So wurden wir schnell mutig.
Und wie?
Wir sind forscher geworden. Und stellten Forderungen.
Was ist Aids für Sie heute?
Ich lasse jedes Jahr einen HIV-Test machen - wie die Grippeimpfung. Das hat etwas völlig Normales bekommen.
Irgendwann einmal
hätten wir die Probleme vom Tisch, mit einem Impfstoff. Ist aber nicht so. Kein Wissenschafter hat bis jetzt irgendwas Grundsätzliches als Schutz gegen Aids herausgekäst. Nein, wir werden mit Aids leben müssen.
Sie sind 51. Sie könnten eine Infektion riskieren und auf Kondome verzichten.
Warum sollte ich?
Es gibt seit mehr als zehn Jahren Medikamente, mit deren Hilfe man nicht an Aids sterben muss.
Ich möchte, bitte sehr, negativ bleiben. Aller Medizin zum Trotz wären mir die Nebenwirkungen einer Infektion nicht lieb - und die meisten kennen wir noch nicht.
Sie könnten zufrieden sein.
Warum sollte ich?
Eine Aidsepidemie in Deutschland existiert faktisch nicht - das ist ein Erfolg der von Schwulen initiierten Gesundheitsbewegung gegen die HIV-Tragödie.
Uns als Schwulen geht es besser, als wir hoffen durften, das stimmt. Aber Aidskrise ist in der schwulen Community so präsent wie immer - faktisch.
Was heißt faktisch?
Dass die Gefahr von vielen nicht mehr so krass gesehen wird.
Aidsaufklärung sieht man überall.
Eben gerade nicht. Kondome in die Lokale zu werfen wie früher reicht nicht mehr. Es fehlt an Aufklärung an vielen Stellen - vor allem bei schwulen Migranten, die man meist über die klassische Community nicht erreicht. Und bei Jugendlichen. Das gesamte System unser Aidsprävention muss mit einer Viertelstelle bei Mann-o-Meter für Aufklärung bei Schülern und Schülerinnen auskommen. Das ist ein Skandal.
Fehlts am Geld?
Überhaupt nicht. Es gibt genügend Mittel, sie werden nur falsch verteilt. Die Arbeit mit Jugendlichen ist ein Feld, das total brachliegt. Wir Erfahrenen wissen, wo die Gefahren lauern, wie man Kondome handhabt, was im Krisenfall zu tun ist. Jugendliche haben noch Aufklärung nötig.
Wo vermuten Sie denn das Geld, das der Aufklärung unter jungen Homosexuellen zustände?
Das Geldverteilungssystem für Aids wird durch das Land wie die Bezirke gespeist. In den Gremien, die diese Finanzen nun an die unterschiedlichen Projekte verteilen, wird die Infektionsgefahr für heterosexuelle Drogenabhängige enorm überschätzt. Nur zwei HIV-Infektionen gab es im vergangenen Jahr in dieser Szene. Dort hat man gelernt, dass man keine Nadeln teilt. Aber die Lobby der Drogenberater ist mächtig - da geht es um Stellen. Da geht es vielleicht auch darum, dass man die Schwulen, die partout immer noch Neuinfizierte hervorbringen, etwas satt hat.
Sie spielen Drogenabhängige gegen Homosexuelle aus.
Ach, hören Sie auf. Ich kenne dieses Argument: So wehren im Drogenbereich Tätige mögliche Kürzungen ab - aber das Risiko, sich als heterosexueller Drogenabhängiger mit HIV anzustecken, geht gegen null. So wie es auch kein Infektionsrisiko bei Blutern mehr gibt wie noch am Anfang der Aidsepidemie.
Sie können ja echt wütend werden.
Ich werde zornig, weil SPD und Linke fast taub sind für unsere Argumente. Die Infektionsrate auch unter jugendlichen Homosexuellen steigt.
Informieren Sie sie doch.
Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Uns fehlen die Mittel. Das Geld wird schwulen Projekten vorenthalten.
Können Sie sich bei allem Ärger auf Ihre Hochzeit freuen?
Klar.
Ihre Ehe - ein monogames Projekt?
Nein, wohl nicht. In guten wie in schlechten Zeiten wird es sein. Mein Lebensgefährte Thomas und ich können unsere Sexualität aber auch mit anderen teilen. Wir wissen, wie das risikolos geht. Ich wünschte, dieses Wissen können sich andere, Jüngere auch aneignen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!