Curling-EM in Füssen: Uncool auf dem Eis
Ein Fest für wahrhafte Enthusiasten: Bei der Curling-EM in Füssen geht es um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft. Emsige Amateure messen sich mit echten Cracks.
Montserrat Marti wirft sich bäuchlings aufs Eis und schreit wie am Spieß. Ihr Curlingstein rutscht Richtung Zielfeld, die zierliche Spanierin brüllt abwechselnd "Si, si, si, si, si!" und "Nooooooo!". Ihre Mitspielerinnen mühen sich nach Kräften, diese Kommandos am Besen umzusetzen. Trotz aller Anstrengungen bleibt der Stein nicht da, wo er hinsoll. Nach acht von zehn Spielabschnitten wirft Spanien beim Stand vom 2:9 gegen Norwegen den Besen ins Korn. Das dritte Spiel, die dritte Niederlage bei der Curling-EM in Füssen.
Im Training können die vier Freundinnen aus Barcelona nichts falsch gemacht haben - sie trainieren nie. Da sie in ihrer Heimat keine Eishalle haben, fahren sie vor Titelkämpfen in die Schweiz, um ein paar Tage zu üben. Trotzdem haben sie sich als Landesmeister für die EM qualifiziert, sechs weitere Frauenteams gibt es in Spanien. "Und wenn Madrid auf Barcelona trifft, geht es richtig zur Sache", sagt Marti, "das ist beim Curling nicht anders als beim Fußball."
Seit Samstag treten in Füssen 32 Männer- und 23 Frauenteams gegeneinander an, es geht um die Qualifikation für die WM 2009 und damit auf längere Sicht um die Winterspiele 2010 in Vancouver. Curling hat durch die Fernsehübertragungen (auch von der EM berichtet Eurosport live) bei den vergangenen Olympischen Spielen einen kleinen Boom erlebt, in Füssen sind auch des Curlings eher unverdächtige Nationen wie Spanien, Griechenland und Andorra am Start. In der A-Gruppe spielen bei Männern und Frauen zehn Teams um den Titel, in der B-Gruppe in der kleineren der beiden Eishallen geht es um den Aufstieg - und um den Spaß am Curling.
Den deutschen Männern hat die Flut der mittelprächtigen Teams die Turniervorbereitung erschwert. Als gastgebender Verein stemmt der CC Füssen gewaltige Organisationsaufgaben, da mussten selbst die Nationalspieler mitarbeiten. Teamkapitän Andreas Kapp fungiert als Vizepräsident des Organisationskomitees, sein Bruder und Mitspieler Uli baute die Partyzone auf - 70 Stunden lang. Es ging nicht anders. Die Curling-EM hat sich zwar nicht zum Zuschauermagneten, aber doch zu einer sportlichen Großveranstaltung entwickelt. Vielleicht liegen die bislang mäßigen Ergebnisse der deutschen Männer - immerhin amtierender Vizeweltmeister - auch daran, dass sie in der Vorbereitung abgelenkt waren.
Die Nationalmannschaft Griechenlands ist aus Düsseldorf angereist. Dort gründeten vier griechischstämmige Rheinländer nach den Spielen von Salt Lake City ein Team, um bequem zu Olympia zu kommen. Als sie merkten, dass man sich auch noch qualifizieren musste, war es schon zu spät: Vom Curling konnten sie nicht mehr lassen. In Füssen begeistern sich die Düsseldorfer Griechen vor allem für das Eis: Das Eishockeyfeld, auf dem sie sonst trainieren, sei dagegen der "reinste Kartoffelacker".
Für die Schotten ist perfektes Eis eine Selbstverständlichkeit. Das Mutterland des Curlings ist mit einem ganzen Trainerstab angereist, von der dünn besetzten Tribüne aus analysieren sie mit Videokamera und Laptop die Taktik der Gegner. Daneben trinken gut 20 schottische Anhänger Glühwein. Mit Krawallen ist trotz Alkohols nicht zu rechnen - der Altersdurchschnitt der Fans liegt jenseits der 60.
Damit sind sie potenzielle Kunden für Anne und Simon Martin. Die beiden schottischen Rentner versuchen mit einem kleinen Stand in der Eishalle, Abnehmer für ihren Curling-Schmuck zu finden - bislang mit wenig Erfolg. Weder die Brosche in Form eines Curlers (Hose aus einer Perle, Jacke aus Diamanten, Curlingstein aus Lapislazuli, 1.895 Euro) noch die schlichten Manschettenknöpfe zu 58 Euro aus dem gleichen Granit, aus dem Curlingsteine gefertigt werden, haben bisher einen Käufer gefunden. Der Souvenirstand bietet so uncoole Produkte an, dass es einem ganz warm ums Herz wird - Fingerhüte, Brieföffner, Pillendosen mit EM-Logo.
Am schönsten aber ist das Aufwärmen. Auf sechs Bahnen gleiten die besten Curlerinnen Europas tuschelnd über das Eis. Der Füssener Hallen-DJ spielt dazu "Morning has broken". Ganz leise, als könnte laute Musik den Zauber der Szenerie zerstören.
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