Tattoos mit falschen Schriftzeichen: Vom Zeitgeist gezeichnet
Chinesische Schriftzeichentattoos sind längst Mainstream. Weil bei uns kaum einer weiß, was sie bedeuten, steht da schonmal "Eislaufen" statt "Streetfighter".
Stellen Sie sich vor, Ihr Lebensmittelhändler wirbt mit dem Slogan: "Noch besser und minderwertig!". Unvorstellbar? Nein. Ein deutscher Discounter pries damit unlängst seine Asia-Food-Produkte an. Bemerkt hat den Fauxpas kaum einer, denn er stand in chinesischen Schriftzeichen auf dem Werbeprospekt. Und die sind scheinbar angesagt derzeit. Immer öfter entdeckt man sie hierzulande in Kaufhäusern und Supermärkten. Auf Sofas ebenso wie auf Süß-Sauer-Saucen. Auf Blusen und Bettwäsche, Tassen und Tellern.
Die geheimnisvollen Zeichen transportieren nicht nur Exotik, sondern auch fernöstliche Weisheit und Wellness: Feng-Shui und Yin-Yang, Tai-Chi und Qigong, Tao und Zen (wobei Letztgenanntes übrigens japanisch ist, aber das liegt ja auch irgendwie im Fernen Osten).
Schon einmal schwappte eine so große Chinawelle über uns hinweg. Das war im 18. Jahrhundert, als viele Fürsten ihre Parks und Paläste mit Echtem oder Nachgemachten im chinesischen Stil ausstatteten. Möbel und Tapisserien, Lackarbeiten und Vasen waren beliebte Chinoiserien. Besonders begehrt war Porzellan (eine chinesische Erfindung) in allen Formen, allerdings vorzugsweise aus Meißen.
Die heutigen Chinesereien sind meist schlichter. Obwohl Kalligraphie in China ja wirklich eine hohe Kunst war und ist. Und die gemalten Wörter sind auch schön anzuschauen. Aber manchmal wüsste man über den schönen Schein hinaus schon gerne, was sie eigentlich bedeuten. Wenn man etwa weiß, dass die geheimnisvollen Zeichen "mei meng" auf der Bettwäsche "schöne Träume" bedeuten, dann schläft es sich doch gleich viel besser. Und wenn auf der Teetasse ein "cha" steht, das schlicht und einfach "Tee" heißt, ist das auch beruhigend. Doch was soll man von dem Sofa halten, auf dem mehrfach auf Chinesisch "neu" steht? Noch dazu um 90 Grad nach rechts auf die Seite gedreht? Oder vom Strandlaken, das mit den Schriftzeichen für "Liebe" - so weit, so gut - und "Zepter" bedruckt ist.
Dergleichen Unsinn findet sich leider häufig. Mal stehen die Zeichen auf dem Kopf, mal sind sie spiegelverkehrt aufgetragen. Doch das ist noch das geringere Übel. Wenn es nur Unsinn ist, der da draufsteht, geht das ja noch. Etwa bei der Körperpflegeserie, die in Apotheken mit dem Schriftzeichen "mei" beworben wird. "Mei" heißt nichts anderes als "schön" - wie bei den Träumen auf dem Bettzeug. Aber warum steht dann auf Deutsch "Harmonie" drunter? Tücken der Übersetzung, bei denen mir auch der Morgenmantel wieder einfällt, der in einem deutschen Spielfilm der 80er-Jahre von einer blonden Schönheit getragen wurde. Auf schwarzer Seide war da in Gold der Schriftzug "meishan diaoyu hezuoshe" aufgestickt. Der Film ist nicht im Gedächtnis geblieben, aber der Morgenmantel jedem Chinakundigen ganz bestimmt. Denn da stand übersetzt nicht etwa "schön" oder "Harmonie" drauf, sondern: "Fischereikooperative Schöner Berg".
Wirklich schlimm wird es bei dem eingangs erwähnten Beispiel. "Geng hao he cu lie" liest es sich in Umschrift, womit der Discounter seine asiatische Lebensmittelserie bewarb. Noch einmal ausführlich zum Auf-der-Zunge-Zergehenlassen: "Noch besser und von minderer Qualität". Hat sich da ein Chinese einen bösen Scherz erlaubt? Oder hat ein des Chinesischen Unkundiger in einem Wörterbuch nach "billig" gesucht - und sich dabei ordentlich vergriffen? Das kommt öfter vor, wenn auch selten so knüppeldick.
Von den Gefahren, sich bei den fremden Zeichen zu vertun, wird auch in der Tattoo-Szene gerne berichtet. Denn chinesische Schriftzeichen sind auch als Tätowierung sehr beliebt. Und da ranken sich unzählige Geschichten um Leute, die sich etwa ein "Bad Boy" in die Haut stechen ließen und sich von der Bedienung im Chinarestaurant unter schallendem Gelächter aufklären lassen mussten, dass das nicht "böser", sondern hässlicher Junge heißt. Ein sehr schönes Beispiel liefert der Sänger Justin Timberlake, der in dem Film "Alpha Dog" auch schauspielerte. Mit Tattoos, darunter auch einigen chinesischen Schriftzeichen, sollte er vom Maskenbildner auf böser Bube getrimmt werden. Er wurde zwar nicht zum hässlichen Jungen, aber zwei der Zeichen bedeuteten einfach: "Eislaufen". So wurde der Streetfighter für Kenner zum Schlittschuhläufer.
Apropos böse Jungs: Neulich fuhr ich hinter einem tiefer gelegten Golf. Auf der Heckscheibe stand "Bad Boy", darunter zwei chinesische Schriftzeichen. Es hieß natürlich nicht böser Junge, aber auch nicht Schlittschuhläufer. "Kuangqi", so das Wort, das die beiden Zeichen bildeten, bedeutet "Wichtigtuer, Aufschneider". Könnte hinkommen, dachte ich mir.
Aber zurück zu Justin Timberlake. Der hatte Glück, denn die Zeichen waren nur aufgemalt. Unangenehmer war die Sache da schon für seine Ex, Britney Spears. Wie die New York Times berichtete, ließ sie sich ein Zeichen in die Haut stechen, das "geheimnisvoll" bedeuten sollte. Es hieß aber "merkwürdig".
Ein Freund von mir, Chinesisch-Dolmetscher, kam jüngst von einer Chinareise mit einer Bundestagsdelegation zurück, da erspähte er auf dem Bahnhof in Berlin eine junge Frau, die das Zeichen für "Huhn" auf den Nacken tätowiert hatte. Wahrscheinlich hatte sie sich dabei sogar etwas gedacht. Entweder war sie nach dem chinesischen Tierkreis im Jahr des Hahns geboren, oder sie rechnete sich zu jener Gruppe von Frauen, sie sich selbstbewusst als Hühner bezeichnen. Nur "das Huhn machen" heißt im chinesischen Sprachgebrauch "auf den Strich gehen".
Die Verunsicherung ist jedenfalls groß. "Da lasse ich mir nächstes Mal doch ,Knusperente süß-sauer' auf die Brust tätowieren", meint die Teilnehmerin in einem einschlägigen Internetforum dazu lakonisch. Ob es nun um die eigene Haut geht oder ums Geschäft: Bevor chinesische Schriftzeichen verwendet werden, sollte auf alle Fälle ein China-Kundiger konsultiert werden. Aber Achtung: Damit man nicht auf einen Scherzbold reinfällt, sollte man entweder mehrere Personen - oder doch lieber gleich einen seriösen Experten befragen.
Zum Trost für alle sei jedoch gesagt, das Problem mit den fremden Schriftzeichen ist keine Einbahnstraße. So ist von einem Hersteller erzgebirgischer Räuchermännchen folgende Geschichte überliefert: Vor der Frankfurter Frühjahrsmesse schaltete er in einer Fachzeitschrift eine Anzeige. Sie zeigte ein Räuchermännchen mit der Aufschrift "Wir sehen uns in Frankfurt - Halle X, Stand Y".
Einige Wochen später war er auch auf einer Messe in Hongkong vertreten. Und was sah er dort? Räuchermännchen made in China mit der Aufschrift "Wir sehen uns in Frankfurt - Halle X, Stand Y". Die Plagiatoren aus dem Reich der Mitte hatten das wahrscheinlich für deutsche Weihnachtsgrüße gehalten.
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