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die wahrheitZug um Zug falsch

Der Trickser Hartmut Mehdorn und der neue Winterfahrplan der Deutschen Bahn.

Bauernfänger Mehdorn. Bild: ap

Erpressung ist ein widerliches Delikt. Aber mit entschlossenen und intelligenten Erpressern muss man gelegentlich verhandeln, weil sonst das Leben Anderer hoch gefährdet würde. Mit Tricksern zu verhandeln und Geschäfte abzuschließen oder mit Falschspielern zu spielen, ist dagegen meistens eine fast schon strafbare Dummheit.

Hartmut Mehdorn zum Beispiel, der Bahnchef, gehörte allein wegen seiner Tricksereien längst abgesetzt. In jeder Betriebsratsschulung lernt man, dass man nach deutschem Recht nicht streiken darf, während man verhandelt. Warum rief Mehdorn die Gewerkschaft GDL ständig und öffentlich dazu auf, an den Verhandlungstisch "zurückzukehren", wo doch die GDL noch gar nicht verhandelte, sondern mit dem Bahn-Vorstand diskutierte, unter welchen Bedingungen man zu - den Streik vorübergehend beendenden - Verhandlungen kommen könnte? Warum verkauft Mehdorn bezahlte Mehrarbeit als "Angebot", so als ob Arbeitslohn ein quasi-göttlicher Segen sei? Antwort: Weil er ein Trickser ist und sonst gar nichts.

Auf den Fahrplan, der bis zum 8. Dezember 2007 galt, ließ Mehdorn rot drucken: "Nach Paris. 3x täglich. Fahrzeit: Unter 4 Stunden." Alles ordinäre Bauernfängerei. Nach diesem Fahrplan gab es nicht drei, sondern keinen einzigen Zug, der von Frankfurt nach Paris weniger als vier Stunden brauchte. Der schnellste benötigte vier Stunden und sieben Minuten, die meisten Züge - je nach Streckenführung und Umsteigefrequenz - brauchten rund viereinhalb Stunden.

Seit dem Fahrplanwechsel vom 9. Dezember 2007 übertrumpft sich Mehdorn mit der großspurigen Ankündigung: "Nach Paris. Jetzt 5x täglich. Unter 4 Stunden." Daran ist richtig, dass es Züge gibt, die von Frankfurt nach Paris drei Stunden und fünfzig Minuten brauchen. Aber was heißt hier "täglich"? Wer an einem Samstag oder Sonntag in vier Stunden in Paris sein möchte, hat nicht fünf Chancen täglich, sondern - nach Jahreszeit variierend - höchstens drei. In umgekehrter Richtung, also von Paris nach Frankfurt, gibt es nur drei Züge, die "unter 4 Stunden" brauchen, wobei nur zwei täglich verkehren. Also auch nach dem neuen Fahrplan: nur Marktschreier-Tricks.

Die Zahl der Züge mit saisonal beziehungsweise wochen- oder feiertäglich begrenzten Verkehrszeiten ist so groß, dass es sich empfiehlt, beim Fahrplanlesen immer eine Lupe bereitzuhalten, um den sprichwörtlichen Haken in Mehdorns Kleinstgedrucktem rechtzeitig zu erkennen. Zum Glück fahren die Züge tatsächlich endlich schneller nach Paris.

Man könnte die Einwände als Petitessen und kleinkarierte Haarspalterei abtun, wenn Mehdorns Trickserei nicht System hätte. Das beginnt beim blödsinnig komplizierten Tarifsystem, das nicht einmal alle Schalterbeamten durchschauen, was überall zu langen Warteschlangen führt, und endet bei der Werbung mit falschen Versprechungen. Das "System Mehdorn" ist eine Mischung aus Großkotzigkeit, wie am Berliner Hauptbahnhof zu besichtigen, und Taschenspielertricks, mit denen er Mitarbeiter wie Kunden gängelt. Dank Teilen der SPD und der Gewerkschaften könnte ihm auch noch die Bahn-Privatisierung gelingen. Stoppt den Falschspieler!

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