Debatte CIA-Bericht: Geheimdienste in Legoland
Der Iran scheint nicht irrational zu sein und auf die internationale Gemeinschaft zu reagieren. Das lässt sich von den USA nicht gerade sagen
2 005 berichteten US-amerikanische Geheimdienste, der Iran verfüge über ein geheimes Atomwaffenprogramm. 2006 löste die iranische Wiederaufnahme der Urananreicherung einen weiteren Alarm aus. 2007 wurden in der Nuklearanlage von Natanz erfolgreich die für die Kernwaffenproduktion notwendigen Zentrifugen installiert, und die US-Regierung begann zu erwägen, die iranischen Nuklearpläne mit militärischen Mitteln zu unterbinden. Diesen Oktober sagte US-Präsident George W. Bush, der Iran riskiere es, einen "dritten Weltkrieg" zu provozieren. Sein Vize Dick Cheney drohte, ebenfalls im Oktober, "die internationale Gemeinschaft ist bereit, ernste Konsequenzen zu ziehen".
Just diese Woche gab es weitere bahnbrechende Neuigkeiten, nun vonseiten des US-amerikanischen National Intelligence Estimate (NIE), eines Berichts des CIA und der 15 weiteren Geheimdienste. Dank einer verbesserten Technik präsentierten sie Luftaufnahmen, die entschieden präziser waren als jene, mit denen Colin Powell seinerzeit wider besseres Wissen beweisen wollte, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besaß.
Die fortschrittlichen Fotovergrößerungen im NIE offenbaren, dass die quadratischen Flecken auf den Fotos von Natanz keine Atomwaffenfabriken sind. Und die Vergrößerungen der Vergrößerungen zeigen sogar, dass es sich weder um kleine Atomlabors handelt noch um mobile Einrichtungen für Atomwaffen oder etwa um Lastwagen mit Atomsprengköpfen. Nein, wenn man genau hinschaut, sieht man nur - Legosteine.
Bush ist anderer Meinung. Er sagt, der Iran ist immer noch eine ernsthafte Gefahr. Auch Norman Podhoretz, der außenpolitische Berater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Rudy Giuliani, ist anderer Meinung. Er denkt, der NIE unterschätzt die Aktionen und die Zeitpläne des Iran, um ihre Fehler in Sachen Saddam zu kompensieren. Er denkt auch, dass es den amerikanischen Geheimdiensten "an gezieltem Material fehlt, um Georg W. Bush zu subvertieren". (Sollte ich diesen Trend verpasst haben?)
Selbst die New York Times ist vorsichtig. Sie merkt an, dass der Iran zwar sein Waffenprogramm 2003 eingestellt hat, aber trotzdem weiterhin nukleare Kraftstoffe entwickelt und 2015 genügend davon haben könnte, um Waffen herzustellen. "Eine offizielle Schließung der (UN)-Inspektionsbehörde", schrieb die New York Times, besage, "das neue amerikanische Urteil gegenüber dem Iran könnte zu großzügig sein".
Ich stimme ihnen zu. Ich denke auch, dass der Iran Kernwaffen entwickelt. Denn, schaut doch, wie nett Amerika zu Nordkorea ist, seitdem es welche hat. Keine Gefahr, dass Kim Jong Il weggebombt wird.
Und das genau macht mir Sorgen. Im NIE erscheint der Iran weniger als ein aggressiver und irrationaler Staat. Vielmehr wirkt er wie ein Staat, der auf den internationalen Druck reagiert, also lernfähig ist - wie seine Einstellung des Nuklearprogramms beweise. Er sagt auch, der Iran sei "mehr von einer Kosten-Nutzen-Rechnung geleitet als von einer Gier nach Waffen, ganz egal, welchen politischen, ökonomischen und militärischen Preis diese haben". Wenn es um eine Kosten-Nutzen-Rechnung geht, was sollte der Iran dann mit Nuklearwaffen anstellen?
Die USA würde den Iran umgehend einäschern, sollte er Israel auch nur einmal dumm ansehen, und das würde dem Iran erhebliche Kosten verursachen. Die Mullahs sind machthungrig, nicht lebensmüde. Und auch Irans Nachbarn, da wenig begeistert von einer nuklearen Verseuchung ihrer Länder, würden so einiges unternehmen, damit der Iran den Finger vom roten Knopf nimmt. Das Nette an Atomwaffen ist ja, dass man sie nicht benutzen kann.
So weit wären wir also: "nicht irrational" und auf die internationale Gemeinschaft reagierend, also lernfähig. Ich fürchte, das lässt sich von den USA nicht sagen. Denkt man an die Klimafrage, den Internationalen Gerichtshof, Guantánamo, Abu Ghraib und Irak: "lernfähig" dürfte einem da eher nicht in den Sinn kommen. Aber vielleicht sieht es etwas besser aus, wenn wir uns der Frage der Rationalität zuwenden?
Die US-Nachrichtendienste lagen bei Hussein falsch. Sie wussten auch nicht, dass der Iran sein Waffenprogramm 2003 gestoppt hat; sie haben sich 2005, 2006 und bis vor kurzem geirrt. Warum sollten wir ihnen jetzt glauben? Zumal einige Verwaltungsangestellte umgehend ihre Skepsis gegenüber dem Geheimdienstbericht äußerten, indem sie daran zweifelten, ob die Geheimdienste die Absichten der iranischen Regierung wirklich begriffen hätten. Wofür bezahlen wir sie eigentlich? Und, das nur am Rande, haben die Verwaltungsangestellten Irans Absichten wirklich kapiert? Es ist immerhin dieselbe Verwaltung, die "wusste", dass Hussein Verbindungen zu al-Quaida unterhielt und das Urankonzentrat aus Nigeria eingekauft hatte und drauf und dran war, die Massenvernichtungswaffen einzusetzen.
Was Bush selbst angeht, so war der noch im Oktober am Säbelrasseln, obwohl die "neuen" Informationen über den Iran seit August zugänglich waren. Ist das der vernünftige Weg zu regieren?
Wir im Westen mögen die US-Geheimdienste nicht so ernst nehmen, die Iraner tun es. Seitdem die Amerikaner dem Irak detaillierte Angaben über die militärischen Manöver des Iran während des Iran-Irak-Krieges in den 80er-Jahren zukommen ließen, weiß der Iran, dass die US-Geheimdienste korrekt arbeiten können, sie müssen es nur wollen. Das Problem im Moment ist nur, dass vollkommen unklar ist, was sie wollen.
Nehmen wir zum Beispiel den letzten NIE: War dieser für heimische Zwecke gedacht - um die Republikaner für die bevorstehende Wahl als verantwortliche und zur Vorsicht und Selbstkritik fähige Partei dastehen zu lassen? Vielleicht ging es auch darum, Giuliani aus der Klemme zu helfen? Angesichts dessen, dass er nur über eine Erfahrung als Bürgermeister verfügt, muss er natürlich beweisen, dass er in außenpolitischen Angelegenheit stark und fit ist, und das wiederum bedeutet: Er muss mit dem Iran - dem derzeit einzigen glaubwürdigen Feind - wie ein Falke umgehen. Doch der Iran ist wirklich zu gefährlich, um ihn zu bombardieren. Daher war Guiliani gezwungen, aggressive Versprechen im Rahmen seiner Kampagne zu machen, die zu halten völlig unsinnig wäre. Nun ist er aus dem Schneider.
Für den Fall aber, dass der NIE den republikanischen Präsidentschaftkandidaten Mike Huckabee aus dem Rennen kicken wollte, hätte das fast geklappt. Der Geheimdienstbericht wurde am Sonntag, den 2. Dezember veröffentlicht. Es war die Schlagzeile des Montags. Während eines Interviews am Dienstag danach befragt, antwortete Kandidat Huckabee: Bitte? Haben Sie den Bericht nicht gelesen? Nein. Haben Sie von ihm gehört? Nein. Und dieser Mann will Präsident werden. Ist das die rationale Art, eine Regierung zu führen?
Aus dem Amerikanischen: Ines Kappert
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