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Debatte TempolimitGeisterfahrer beim Klimaschutz

Kommentar von Michael Cramer

Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen würde nicht nur die Zahl der Unfälle senken. Es würde auch die Industrie dazu animieren, umweltfreundlichere Autos zu produzieren

I n Brüssel kursiert folgender Witz: "Was haben Afghanistan und Deutschland gemeinsam? Sie sind die einzigen Länder ohne Tempolimit auf Autobahnen. Was unterscheidet sie? Afghanistan hat keine Autobahnen."

Offenbar ist dieses Bonmot mittlerweile auch beim Präsidenten der EU-Kommission José Manuel Barroso angekommen. Der konservative Portugiese, alles andere als ein Vorreiter in Sachen Umweltschutz, empfahl erst vor kurzem, die Deutschen sollten ihre Sonderrolle aufgeben und eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf ihren Autobahnen einführen. Dies gelte umso mehr angesichts der Tatsache, dass der Verkehr in Europa für knapp 30 % der CO2-Emissionen verantwortlich ist: 70 % des importierten Erdöls wird auf europäischen Straßen verbrannt.

Während die Industrie etwa ihre CO2-Emissionen senken konnte, haben sie im Verkehr hingegen seit 1990 um ein Viertel zugenommen. Im Luftverkehr, wo sie drei- bis viermal so gefährlich sind wie auf der Erde, stieg der CO2-Ausstoß sogar um 100 Prozent. Wer aber den Klimawandel bekämpfen und weg vom Öl will, der muss auch in der Verkehrspolitik umdenken.

Aufgrund der aktuellen Klimadebatte gibt es in Deutschland endlich eine Mehrheit für ein Tempolimit auf Autobahnen, jedenfalls in der Bevölkerung und auch im Bundestag; auch die SPD hat sich auf ihrem letzten Parteitag dafür ausgesprochen. Offensichtlich sind die Bürgerinnen und Bürger klüger und umweltbewusster als die Bundesregierung.

Es gibt auch Landespolitiker, die ein Tempolimit begrüßen: Der brandenburgische Verkehrsminister Reinhold Dellmann etwa begründet seine Position mit den guten Erfahrungen, die auf der A 24 zwischen Berlin und Hamburg gesammelt wurden. Nach der Anordnung von Tempo 130 haben sich auf dem als "Todesautobahn" gefürchteten Abschnitt zwischen den Dreiecken Havelland und Wittstock innerhalb eines Jahres die Unfälle halbiert - und das trotz wachsenden Verkehrs! Früher donnerten auf der Überholspur Autos mit 180, 200 oder gar 220 km/h entlang. Die Reaktionszeit der Raser war für einen schnellen Stopp oft zu kurz, wenn langsamer fahrende Fahrzeuge nach links ausscherten. Heute sind Raser auf dieser Piste die Ausnahme.

Dellmanns Beobachtung deckt sich mit früheren Erfahrungen während der Ölkrise 1973/74. Damals wurde in Deutschland nämlich nicht nur ein Sonntagsfahrverbot verhängt, sondern auch Tempo 100 auf Autobahnen verordnet. Hans-Jochen Vogel, damals Minister im Kabinett von Willy Brandt, wies seinen Fahrer an, sich daran auch zu halten. Der oft als "Oberlehrer mit Klarsichthülle" verspottete Vogel legte Wert darauf, dass Wort und Tat übereinstimmen.

Das Ergebnis der 111 Tage jedenfalls war beeindruckend: Der Spritverbrauch sank, ebenso die Zahl der Unfalltoten. Im Januar 1974 ging sie sogar um 60 Prozent zurück. Als Folge der ADAC-Kampagne "Freie Fahrt für freie Bürger" wurde die Geschwindigkeitsbegrenzung wieder aufgehoben. Dabei war allen klar, dass es damit wieder mehr Verletzte und Tote auf Deutschlands Autobahnen geben würde.

Ein Tempolimit ist aber auch aus ökologischen Gründen geboten. Denn bei einer Fahrgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern benötigt ein Pkw der Mittelklasse nur etwa 5,2 Liter Benzin. Bei Tempo 120 km/h steigt der Verbrauch bereits auf 6,5 Liter, bei Tempo 160 km/h gar um das Doppelte (!), auf rund 10,5 Liter. Ähnlich verhält es sich beim Mittelklasse-Diesel. Ein Tempolimit würde deshalb eine CO2-Reduktion von 30 Prozent ermöglichen, schätzt das Umweltbundesamt.

Nach einer Senkung der Höchstgeschwindigkeit könnte zudem auch das Gewicht der Autos verringert werden. Mit einem Tempolimit könnte schon heute - mit leichteren Materialien - ein umweltfreundlicherer Mittelklassewagen für vier Personen gebaut werden. Damit erreicht man eine Verbrauchsreduktion um gut ein Viertel: Statt 7,2 Liter Benzin verbraucht das Fahrzeug bei gleicher Leistung dann nur noch 5,5 Liter Benzin. Leichtere Sitze verringern das Gewicht, schmalere Leichtlaufreifen den Rollwiderstand. Würde dann noch die Höchstgeschwindigkeit technisch auf 160 km/h begrenzt, so könnte die Leistung des Motors verringert, der Verbrauch dann sogar auf 4,4 Liter pro 100 km gesenkt werden. Auch der CO2-Ausstoß verringert sich dann um ein Drittel!

Würde etwa der VW Golf zu so einem Niedrigenergieauto umgebaut, könnte das Fahrzeug am Ende weniger als 1.000 kg wiegen und würde nur noch 4 Liter Diesel verbrauchen - gegenüber vorher 5,6 Litern. Der VW Golf wäre so das erste familientaugliche Fahrzeug, das auf einen CO2-Ausstoß unter 100 g/km käme. Dabei würde das Auto mit modernster gewichtsparender Technik ausgestattet. Die Hintertüren würden dann aus Naturfaserverbundwerkstoff hergestellt, der eine Gewichtsersparnis bringt. Der Motor stammt aus dem 3-Liter-Lupo und wird an den Golf angepasst. Die Leichtlaufreifen weisen, bei gleicher Sicherheit, einen um 60 Prozent verringerten Rollwiderstand auf.

Die Bundesregierung kennt diese Berechnungen, sieht für die CO2-Reduktion aber "nur" ein Einsparpotenzial von 2,5 Millionen Tonnen. Maßnahmen in diesem Bereich lohnten sich deshalb nicht, sagen Umweltminister Gabriel und Verkehrsminister Tiefensee. Logisch nicht mehr nachvollziehbar bei einer solchen Argumentation ist aber, dass sie im Kabinett dann einem Gebäudesanierungsprogramm zugestimmt haben, mit dem lediglich 1 Million Tonnen an Kohlendioxid eingespart werden können. Im Unterschied zu einem Tempolimit würde dieses Programm auch erst in einigen Jahren volle Wirkung zeigen - und bis dahin 1 Milliarde Euro kosten. Warum die Bundesregierung angesichts dessen auf ein kostenloses Instrument zum Klimaschutz verzichtet, ist rational nicht mehr zu erklären. Die Auto-Lobby lässt grüßen.

Diese Irrationalität lähmte auch Rot-Grün: Als die SPD 1998 an die Regierung kam, stand das Tempolimit zwar im Wahlprogramm von SPD und Grünen. Gerhard Schröder verhinderte aber mit einem "basta" die Verankerung im Koalitionsvertrag. Unterstützt wurde er dabei von Oskar Lafontaine, der heute für die "Linke" im Bundestag einen Antrag zum Tempolimit unterschreibt. Er hätte es einst, als Parteivorsitzender der SPD, mit Hinweis auf das Wahlprogramm durchsetzen können.

Heute ist Angela Merkel gefragt. Beim Kampf gegen den Klimawandel kann sie nur glaubwürdig sein, wenn sie sich von der Geisterfahrt beim Tempolimit verabschiedet. Sonst müssen sich die Deutschen den Vorwurf gefallen lassen, dass sie nur dann für Klimaschutz sind, wenn ihre Industrie davon profitiert.

Nur einen Verlierer gäbe es bei der Einführung eines Tempolimits in Deutschland: Es sind die Verkäufer von All-inclusive-Paketen an internationale Autotouristen, die nur deswegen nach Deutschland fliegen, um einmal mit 250 Stundenkilometern über die Autobahn donnern zu können.

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