Geschcihte nachvollzogen: Herr Joseph und das Buch seines Lebens
Sechs SchülerInnen aus Schmargendorf haben die Lebensgeschichte des Berliner Holocaust-Überlebenden Rolf Joseph aufgeschrieben.
Die Aula des Evangelischen Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin-Schmargendorf ist bis auf den letzten Platz besetzt: Sechs SchülerInnen stellen am Mittwoch ihr gemeinsames Buchprojekt "Ich muss weitermachen. Die Geschichte des Herrn Joseph" über das Leben eines Berliner Holocaust-Überlebenden vor. Gewidmet ist der Abend Rolf Joseph, dem 87-jährigen Protagonisten des Buchs. "Ich danke euch von ganzem Herzen", sagt er in seiner kurzen Rede sichtlich gerührt. Durch ihren Elan und ihre Überzeugungskraft hätten die SchülerInnen ein Zeichen gegen den Antisemitismus gesetzt.
Die sechs GymnasiastInnen Fabian Herbst, Dorothea Ludwig, Samira Sangkohl, Pia Sösemann, Simon Strauß und Simon Warnach hatten Rolf Joseph vor vier Jahren bei dem Klassenbesuch eines jüdischen Gottesdienstes in der Synagoge Pestalozzistraße kennengelernt. "Herr Joseph schlug uns vor, in unsere Schule zu kommen und uns von seiner Jugend während der Nazizeit zu erzählen", erinnert sich Simon Strauß. Nach dem Vortrag von Joseph sei schnell die Idee unter den SchülerInnen gereift, seine Geschichte aufzuschreiben.
Rolf Joseph wurde 1920 in Kreuzberg geboren. Zusammen mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder Alfred erlebte er mit Beginn des Nationalsozialismus in der Schule die systematische Ausgrenzung aller jüdischen Schüler - ebenso wie die schrittweise Nazifizierung der anderen Mitschüler. Rolf beendete die Schule mit vierzehn Jahren und machte eine Tischlerlehre. Nach zeitweiser Zwangsarbeit bei IG Farben in Lichtenberg konnte er mithilfe eines Tischlermeisters seinen Beruf wieder aufnehmen.
Am 6. Juni 1942 wurden die Eltern vor den Augen der Brüder von der Gestapo abgeholt und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Von diesem Moment an lebten die Brüder auf der Flucht. Zwei Monate lang versteckten sie sich im Wald, bis sie bei unterschiedlichen Leuten unterkamen. Sein Überleben verdankte Rolf Joseph einer Lumpensammlerin, die ihm bis zum Kriegsende einen Unterschlupf gewährte.
Dennoch wurde er dreimal festgenommen, von der Gestapo gefoltert und gefangen gehalten und schließlich in einen Transport nach Auschwitz verfrachtet. Dank seines starken Überlebenswillens und der Hilfe mutiger Mitmenschen gelang es ihm aber jedes Mal zu fliehen.
"Mein ganzes Überleben damals, das war nur Glück", sagt Rolf Joseph heute. Von sechzig Familienmitgliedern haben nur sein Bruder und er den Holocaust überlebt. "Es sind nicht mehr viele da, die darüber sprechen können", betont er. Deshalb sei es sein Wunsch, mit seinen Vorträgen die Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, damit die Geschichte sich nicht wiederhole.
Die SchülerInnen des Gymnasiums nahmen sich seines Anliegens an und trafen sich vier Jahre lang regelmäßig mit Joseph, um seine Erzählungen zu protokollieren. "Das war am Anfang gar nicht so einfach", berichtet Pia Sösemann. Denn aufgrund seiner zahlreichen Vorträge hätte Herr Joseph auf jede Frage der Schüler die passende Textpassage bereit gehalten.
Durch hartnäckiges Nachfragen und die Erzählungen seines Bruders Alfred seien aber nach und nach ganz neue Erinnerungen zu Tage gekommen. Der gegenseitige Vertrauensgewinn habe die Treffen schließlich von reinen Interviewtreffen zu einem gemütlichen Beisammensein gewandelt. "Für uns war es irgendwann so, als würden wir unseren Opa besuchen", sagt Pia Sösemann.
Auch beim Schreiben stießen die SchülerInnen zunächst auf Probleme, weil sie beschlossen hatten, das Buch gemeinsam zu schreiben. "Wir hatten nach zwei Stunden Arbeit zwei Sätze geschrieben - mit denen war dann aber auch jeder zufrieden", erinnert sich Pia Sösemann. "Es wird vielleicht nicht den Nobelpreis gewinnen", sagt Samira Sangkohl. Aber sie seien sehr stolz und glücklich, dass das Projekt in den vier Jahren nie zum Erliegen gekommen sei.
Unterstützt wurden die AutorInnen vom Verein der Freunde des Grauen Klosters, der ihnen die Produktion des Buches vorfinanzierte. Auch der Wolf Jobst Siedler Verlag stand ihnen vor allem beim Satz mit Rat und Tat zur Seite. Nicht zuletzt erhielten sie für das Buch den Förderpreis des Geschichtswettbewerbs der Körber-Stiftung.
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