Kolumne Märchen: Mit Magnus Magnificus auf hoher See
Aua - Wie der Atlantische Ozean einmal höchstpersönlich einem großen Zauberer ins Handwerk pfuschte.
Vor vielen, vielen Jahren, als Märchen noch die Wahrheit waren, da lebte einmal ein großer Zauberer. Sein Name war Magnus Magnificus. Er war ein zufriedener und fröhlicher Geselle. Bis zu jenem Tag, als Aber wir wollen der Geschichte nicht vorgreifen.
Eines Tages bekam der große Zauberer Magnus Magnificus eine Einladung auf die private Luxusjacht des Königs, wo er für diesen und rund 70 Vasallen eine Vorstellung im Atlantischen Ozean geben sollte. Gern nahm er an, winkte doch ein erquickliches Sümmchen an Dukaten. Kaum auf dem prachtvollen Schiff angekommen, suchte er die Bekanntschaft des Beleuchters für das Bord-Varieté, denn seine Show sollte durch angenehme und geschmackvolle Licht- und Toneffekte geschmückt werden. Der Beleuchter war eine Beleuchterin, und ihr Name war schlicht und ergreifend Corinna S.
Hurtig waren Einsätze und Stichworte zwischen dem großen Zauberer Magnus Magnificus und Corinna S. abgesprochen, man stach in See und es konnte losgehen. Nun war es aber so, dass ausgerechnet an diesem Tage ein ungewöhnlich wilder Seegang herrschte und der Zauberer noch nie zuvor auf einem Schiff gewesen war. Schnell bemerkte Corinna S. einen grünlichen Schimmer um seine Nase und Schweißperlchen auf seiner Oberlippe. Tapfer aber versuchte der Zauberer einen Kartentrick, den zu erklären keine lebende Seele vermag. Der Seegang wurde stärker.
"Und es wäre doch ein kleines Wunder, mein Herr", presste Magnus mit belegter Stimme hervor, "wenn ausgerechnet Ihre Karte als einzige umgedreht in diesem Kartenspiel stecken würde?" Der angesprochene Gast nickte. Magnus fächerte das Blatt auf. "Da sind ja viel mehr umgedreht!", krähte das glubschäugige Kind in der ersten Reihe. "Stümper!", rief jemand. "Meine Güte", murrte Magnus, "das kann doch mal passieren." Der Seegang wurde stärker. Corinna S. sah, wie das Gesicht des Zauberers grüner wurde, und er versuchte ein Würgen zu unterdrücken.
"Jetzt brauche ich ein Jackett von irgendwem!", forderte Magnus. Ein grünseidenes Sakko wurde auf die Bühne geworfen. Corinna S. bemerkte einen Augenblick des Zögerns, bevor der Zauberer eine kleine Delle in das Jackett schlug, eine Zigarette anzündete und diese in die Delle stopfte. Sie brannte sich sofort durch die Seide und fiel kokelnd zu Boden. Im Publikum erklangen Buhrufe. "Oh", rief Magnus, "na ja, das kann passieren, ich kann ja schließlich nicht zaubern, aber ich kann noch ein anderes Kunststück zeigen."
Er holte eine Dame auf die Bühne, baute eine Miniaturguillotine vor ihr auf und bat die Dame, vertrauensvoll ihre Hand durch das Loch zu legen. Von außen hörte man tosende Wellen gegen die Bordwand schlagen. "Bei drei werde ich das Messer herunterdrücken", erklärte Magnus der Dame, "und Ihrer Hand wird nichts passieren." Und er zählte: "Eins "
In diesem Augenblick hob ein gewaltiges Gewoge das Schiff nach oben, Corinna S. rutschte mit dem Ellbogen gegen den Startknopf der Tonanlage, Getöse erscholl, und der Zauberer rief "Drei!" und haute das Messer nach unten.
Magnus verbeugte sich: "Sie sehen, meine Damen und Herren, das Messer ist unten, die Hand ist dran, und der Zauberer nimmt seinen Applaus entgegen!" Totenstille. Verwirrt hob er seinen Blick. Die Dame lag vor der blutüberströmten Guillotine, ihre abgetrennte Faust war in die Bühnenmitte gerollt. Das Publikum murrte. Der Zauberer versuchte, die Situation mit einem Scherz zu überspielen.
Das war die große Stunde von Corinna S. Sie richtete einfühlsam einen Spot auf die Faust und nutzte das einsetzende Getümmel, um den Zauberer zum Rettungsboot zu bringen. Dann explodierte das ganze Schiff, und Corinna S. erwachte - an eine Planke geklammert - in den Wellen des offenen Meeres. Nach ein paar Tagen wurde sie an eine Insel gespült. Am Strand saß Magnus und hielt die Hand der Dame. Und wenn kein anderes Schiff kam, um sie wieder aufzusammeln, dann hocken der Zauberer, Corinna S. und die Hand noch heute dort.
Fragen zum Zauberer? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE
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