Kommentar China und Indien: Schulterschluss an der Schwelle

Indien und China starten einen neuen Dialog. Beide Länder wissen, dass ihre gemeinsamen Wachstumsinteressen mehr dem Westen als sich gegenseitig in die Quere kommen.

Die meisten bilateralen Bilanzen zwischen Indien und China lesen sich mager: Nur 60.000 von den 35 Millionen Chinesen, die jährlich ins Ausland reisen, wollen Indien besuchen. Nur 200 junge Chinesen studieren derzeit in Indien. Zum Vergleich: In Deutschland studieren 25.000 Chinesen. Die beiden größten Völker der Welt kennen sich also kaum - und doch ändert sich ihr Verhältnis derzeit rasend schnell. Ausdruck davon ist auch der erste Staatsbesuch von Manmohan Singh in Peking - der Mann, der in Indien als Begründer von Wirtschaftsreformen ähnlich wie einst Deng Xiaoping gefeiert wird.

Politik und Gesellschaft haben inzwischen viele alte Barrieren abgebaut. Die in Indien lange Zeit nicht verschmerzte Niederlage Nehrus gegen Mao im Grenzkrieg von 1962: Sie ist in Delhi tendenziell überwunden. Aber auch Chinas traditionelles Desinteresse an Indien weicht dem Erstaunen über die indischen Softwareerfolge und der Begeisterung für Yoga. Beide Länder wissen heute, dass ihre gemeinsamen Wachstumsinteressen mehr dem Westen als sich gegenseitig in die Quere kommen. Sie haben sich längst als Bündnisgenossen gegen Klimaschutzverpflichtungen entdeckt, die sie zuerst den reichen Verursacher-Ländern des Klimawandels zumuten wollen. Zugleich fehlen beiden Lösungen für die größten sozialen Probleme, für Wasser- und Energiemangel. Umso mehr hofft man auf einen produktiven Wettbewerb indischer und chinesischer Ingenieure und Wissenschaftler.

Dabei findet eine ideologische Debatte Diktatur contra Demokratie zwischen Delhi und Peking nicht statt. Pragmatisch schaut man auf die Vorteile des anderen. Das macht auch den indisch-chinesischen Dialog zwischen Intellektuellen oft besonders spannend.

Zugleich liegt in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ein ungeheures Potenzial. Das indische Schwergewicht auf Software und Dienstleistungen ergänzt sich mit Chinas Stärke bei Hardware und Produktion. Asiens wirtschaftliche Integration könnte deshalb bald zum wichtigsten Wachstumsfaktor der Weltwirtschaft werden.

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Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.

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