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StadtplanungDreieck mit tausend Konflikten

Bevor der Park auf dem Gleisdreieck kommen kann, müssen noch viele Streitpunkte beseitigt werde. Aber dieses Jahr soll es losgehen.

Ein bisschen Grün ist auch dabei: So stellt sich die Vivico das künftige Gleisdreieck vor Bild: Vivico Real Estate

"Kuck mal, Mama! Ich bin ganz oben!" Begeistert blickt Sebastian um sich. Gerade hat der Dreijährige einen etwa zehn Meter hohen Hügel erklommen. Dieser "kleine Teufelsberg" in der Nähe der Kreuzberger Möckernstraße entstand, als beim Abbau von Schienen auf dem Gleisdreieck der Schutt zusammengeschoben wurde. Jetzt wachsen kleine Bäume auf dem Miniaturberg.

GLEISDREIECK

Fast 150 Jahre lang dominierte Verkehrstechnik die Landschaft zwischen den Stadtteilen Kreuzberg und Schöneberg. Neben den Schienen für die Personenzüge zum Anhalter Bahnhof befand sich hier bis in die 80er-Jahre der Paketbahnhof der Post. Nach dem Rückzug der Bahn entwickelte sich zwischen Landwehrkanal und Yorckbrücken eine ungeplante grüne Oase. Wilde Wiesen und kleine Bäume wachsen über den Gleisen. Nun soll das Gelände zu einem fast 35 Hektar großen Park entwickelt werden. Infos unter www.berlin-gleisdreieck.de

Von oben blickt Sebastian auf eine in Jahrzehnten gewachsene Wildnis aus Sträuchern, Birken und Robinien. Zerfallende ehemalige Stellwerke und Lagerhallen wechseln sich ab mit weiten Flächen überwucherter Gleise. Die einstige Nutzung der Fläche, die einmal zu den wichtigsten Güterumschlagsplätzen Berlins gehörte, ist noch erkennbar.

Aber Sebastian sieht auch Neues: Bis zu zwei Meter hoch wachsen die Maispflanzen in den überwiegend von bosnischen Frauen betriebenen "interkulturellen Gärten". Daneben macht Alexandra Toland in ihrer "Galerie der Wildkräuter" auf rund 150 Tafeln die Pflanzen sichtbar, deren Samen mit den Eisenbahnen aus allen Ländern Europas eingereist sind, um hier aufzublühen. Diesen kleinen Bereich entlang der Möckernstraße machte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg voriges Jahr offiziell zugänglich.

Cornelia Wimmer von der Elterninitiative Gleisdreieck findet die Mischung aus Wildnis und Nutzflächen faszinierend: "Hier finden die Kinder keine vorgefertigten Erlebnisse wie auf konventionellen Spielplätzen, sondern können sich ihre Welt selbst gestalten", sagt die 47-Jährige. Mit Torsten Schöppler von der AG Gleisdreieck führt die rothaarige Pädagogin über das Gelände. "Jeden Sommer verstecken sich hier 20 bis 30 Kids hinter den Büschen, klettern auf Bäume und bezwingen den Schuttberg."

Um ebendiesen Hügel kommt es nun zum Konflikt. Ganz in der Nähe haben die ersten Rodungen für den Park zwischen Landwehrkanal und Yorckbrücken begonnen, der einmal fast 35 Hektar umfassen soll. Für Hendrik Gottfriedsen, Geschäftsführer der senatseigenen "Grün Berlin Park und Garten GmbH", die mit der Anlage des Parks betraut ist, sind das "erste Aufräumarbeiten". Der tatsächliche Baubeginn werde erst im Laufe dieses Jahres sein.

Gottfriedsen hält es für "völlig unverantwortlich, Kinder auf dem Kletterberg spielen zu lassen". Die obersten 30 Zentimeter seien stark mit Altöl und anderen Stoffen belastet. "Deshalb kann der Berg nicht erhalten werden", meint Gottfriedsen. "Einfache Warnschilder würden doch die Haftungsfrage klären", hält Wimmer dagegen. Und Gottfriedsen signalisiert immerhin Kompromissbereitschaft: "Dies ist einer der tausend kleinen Konflikte, für die wir gemeinsam eine Lösung finden müssen."

Es sind diese "tausend kleinen Konflikte", wegen denen sich der offizielle Baubeginn, der eigentlich für das Frühjahr 2007 anvisiert war, immer weiter ins Jahr 2008 verschiebt. Da verzögert sich etwa die Eintragung des Geländes ins bezirkliche Grundbuch um Jahre, weil wichtige Fragen auftauchen: Gehören die Widerlager der 27 Eisenbahnbrücken über die Yorckstraße zum Bundeseisenbahnvermögen oder nicht? Wer sie besitzt, ist auch für ihre Sanierung zuständig - und die kostet etwa 150.000 Euro pro Brücke. Da gibt es aber auch die Sorge der Kleingärtner in der Südwestecke des Parks vor Vertreibung oder den Anspruch der Beachvolleyballer auf "ihren Teil" vom Gelände.

Solche Probleme schrecken aber weder Hendrik Gottfriedsen noch Cornelia Wimmer. Denn der Park ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Konflikts um eine der letzten großen zentralen Brachen Berlins. In den 70er-Jahren entstand der Plan, mit einer Stadtautobahn - der "Westtangente" - die Gegend um den heutigen Potsdamer Platz an den Südwesten der Stadt anzuschließen. Damit wäre der innerstädtische Grünstreifen weitgehend zerstört worden. Der kämpferischen Bürgerinitiative Westtangente gelang es jedoch selbst nach der Wende und dem Bau des Potsdamer Platzes, die Träume von DaimlerChrysler und anderen Autoliebhabern in die Schranken zu weisen.

Stattdessen einigten sich nach langen Verhandlungen in den Jahren 2001 bis 2005 das Land Berlin, der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und die Immobiliengesellschaft Vivico auf einen städtebaulichen Rahmenvertrag. Dieser erlaubt der Vivico die Verwertung von drei Teilbereichen: das von einer Tankstelle genutzte Dreieck zwischen den S-Bahn-Linien oberhalb der Yorckstraße, eine Fläche an der Möckernstraße Ecke Yorckstraße und eine weitere entlang der Dennewitz- und Flottwellstraße.

Der Rest wird zum Park, zerschnitten freilich von der S-Bahn und der ICE-Strecke. Durch eine weit ausholende Rampenbrücke sollen beide Hälften verbunden werden. Doch schon fehlt dafür das Geld: Von ursprünglich 24 Millionen Euro für den Park sind nur noch etwa 11 Millionen Euro da, den Rest benötigte das Land Berlin für den Grundstückserwerb und den Wettbewerb zur Parkgestaltung.

Diesen gewann im Sommer 2006 das Stadtplanungsbüro Atelier Loidl, das bei der Präsentation des Entwurfs im Herbst 2006 betonte, es gehe "vor allem darum, die Weite der riesengroßen Fläche fürs Auge zu erhalten". Zwar sollen möglichst viele der historische Spuren bewahrt werden, aber der Entwurf betont mehr die durch Rasenflächen erzeugten Sichtachsen.

Cornelia Wimmer hält wenig von diesen Sichtachsen. Die machten alles offen und transparent. "Da gibt es keine gemütlichen Ecken und Rückzugsorte zum Knutschen." Auf den Entwurfsbildern der Stadtplaner kann Wimmer "keine alten Menschen und Kinder entdecken, nur Menschen aus der Zigarettenwerbung".

Für Norbert Rheinlaender, einen jahrelangen Kämpfer für den Park, "wollen die Designfigaros aus dem Atelier Loidl den bereits entstehenden Park zurechtfrisieren und die wilde Kreuzberger Wiese am liebsten mit einem gepflegten Rasen überrollen". Auch Torsten Schöppler von der AG Gleisdreieck befürchtet "einen Park für die jung-dynamischen Menschen vom Potsdamer Platz", bei dem Kinder und Anwohner an den Rand gedrängt würden. "Meine Horrorvorstellung sind ebene Flächen und gerade Betonkanten" sagt der 44-Jährige. Für den studierten Betriebswirt ist "gemähter Rasen wie grüner Beton".

Noch wird die Mitte des künftigen Parks von grauem Beton dominiert: Hier wurden die Baustoffe für den Potsdamer Platz umgeschlagen. "Genau diese Betonflächen sollen doch abgetragen werden", hält Gottfriedsen von Grün Berlin den Kritikern entgegen. Er bestätigt die Planung einer weiten Rasenfläche in der Mitte und eines etwa 30 Meter breiten Randstreifens für Kinderspielplätze, überwachsene Gleisanlagen, Community Gardens und Sportplätze. Als Betreiber des Britzer Gartens weiß er aber: "Um Wiesen in ihrer Schönheit zu erhalten, dürfen sie in der Regel weder bespielt noch betreten werden." Dagegen seien Rasenflächen "hochstrapazierfähig, werden gedüngt, bis zu 18-mal im Jahr gemäht und sind daher immer betretbar". Die Vorstellung, "Wiese und Fußball" unter einen Hut zu bringen, ist für ihn "Unsinn". Er kennt den Konflikt vom Mauerpark, der von den AnwohnerInnen so stark angenommen wird, dass "die Wiesen an den Hängen einfach zertrampelt werden".

Genau die 300.000 potenziellen NutzerInnen des Parks am Gleisdreieck versucht Beate Profé, Referatsleiterin für Stadtgrün bei der Senatorin für Stadtentwicklung, im Blick zu behalten. Sie will einen "Park für alle, auch für die, die sich nicht zu Wort melden". Aber auch keinen Park, der "nur die Addition aller individuellen Interessen ist". Noch sei man mitten in der Diskussion, um "die Ausführung der Planung zu konkretisieren". Aber Grundlage bleibe der Entwurf des Wettbewerbssieger. "Da müssen wir uns nun gemeinsam durchquälen, um hinterher sagen zu können, die Mühe hat sich gelohnt", sagt Profé.

Anstrengend waren sicher die ganztägigen Werkstattgespräche mit über 50 TeilnehmerInnen zum Thema Sportanlagen, zu denen Grün Berlin im Dezember eingeladen hatte. Während für den stämmigen Torsten Schöppler "vor allem Trendsportarten wie Skaten und Joggen bedient werden", spürt Profé den Landessportbund im Nacken. Besonders bei den 4 Hektar auf der Schöneberger Seite, wo heute noch Kleingärten sind und ein Sportzentrum entstehen soll. Übrigens ein weiterer der "tausend Konflikte": Sozial eindeutig in Schöneberg gelegen, gehört es verwaltungsrechtlich zu Kreuzberg. Aber weil Berlin ohnehin kein Geld hat "können die Kleingärtner da noch Jahre bleiben", glaubt Profé.

Auch Matthias Bauer von der BI Westtangente hofft, dass die 70 Parzellen doch noch in den Park integriert werden. "Es wäre kein guter Start, einen Park mit dem Absägen von 300 Obstbäumen zu beginnen." Als einer von drei gewählten AnwohnervertreterInnen sitzt er in der "projektbegleitenden Arbeitsgruppe" zur Planung des Parks. Einerseits ist die Arbeitsgruppe für ihn ein "Musterbeispiel für Bürgerbeteiligung", andererseits drohte er im Herbst mit Austritt. "Die Senatsvertreter tun so, als hätten wir den Entwürfen zugestimmt. Das haben wir aber nicht." Allein 18 Punkte umfassen die von den AnwohnerInnen formulierten Änderungswünsche. Und Bauer betont die strukturelle Unterlegenheit der BürgerInnen: Ehrenamtlich sitzen sie hauptberuflichen StadtplanerInnen gegenüber, die "jeden Tag beruflich miteinander reden". Zusätzlich sind diese auch noch formal durch die Vielzahl der zuständigen staatlichen Institutionen in der Mehrheit. "Sie brauchen uns", klagt der Aktivist, "aber in Wirklichkeit finden unsere Ideen kaum Berücksichtigung." Und bei der entscheidenden Machtfrage, dem Geld, lassen sich die Vertreter der Verwaltung ungern in die Karten schauen. Dass für die Brücke über die ICE-Trasse kein Geld mehr da ist, will Matthias Bauer erst glauben, "wenn der Senat einen transparenten Kassensturz macht".

Dass der Senat eine Abrechnung der Gelder bis zur Sitzung des Stadtentwicklungs-Ausschusses im Abgeordnetenhaus am kommenden Montag vorlegen wird, erwartet Bauer nicht. Aber so kommen wenigstens einige der Konflikte vor den Abgeordneten zur Sprache. Immerhin soll der Park nach dem Willen des Senats "weltweite Leuchtkraft" erlangen - als Beispiel für die behutsame Umnutzung einer innerstädtischen Brache. Doch für Torsten Schöppler "hat ein Bauvorhaben noch nie weltweite Bedeutung erlangt, weil es sie erlangen sollte". Das gelinge nur, wenn lokale Probleme mit lokalen Mitteln mustergültig gelöst würden. Und, möchte man hinzufügen, von einem Trümmerberg aus die "tausend kleinen Konflikte" überblickbar bleiben.

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