Braunkohle oder Schokolade: Café am Rande des Kraters

Seit Anfang der 90er Jahre betreiben Goedele Matthyssen und Peter Bienstman in der Lausitz eine Schokoladen-Manufaktur - und sehen jetzt ihr Lebenswerk vom Tagebau bedroht.

"Wir haben uns sofort in die Gegend verliebt". Goedele Matthyssen und Peter Bienstman Bild: Heike Holdinghausen

HORNOW taz "Wenn gleich nächstes Jahr die Bagger kämen, wäre das nicht so schlimm", sagt Peter Bienstman und riecht ein bisschen nach Schokolade, "aber 20 Jahre darauf warten?" Er dufte immer ein bisschen nach Schokolade, genau wie sie selbst und die drei Kinder, sagt seine Frau Goedele Matthyssen, während sie in ihrem kleinen Büro sitzt. Seit 16 Jahren führen die beiden Belgier die "Confiserie Felicitas". Sie stellen täglich aus etwa 400 Kilogramm Rohschokolade Pralinen her, Weihnachtsmänner, Osterhasen, Fußbälle, Telefone, Schokoladentafeln mit Chili, Zimt oder Mandeln. Eine Spezialität sind Schokoladenreliefs mit Szenen aus dem Kamasutra. "Die haben uns mal bekannt gemacht", sagt Goedele Matthyssen und lacht. Alles feine belgische Schokolade, die kleine schlanke Frau mit den hellblauen Augen hat ihr Handwerk in Antwerpen gelernt.

Drei neue Tagebaufelder plant der Energiekonzern Vattenfall in der Lausitz. Als Erstes wird im nächsten Jahr das Genehmigungsverfahren für den Tagebau Jänschwalde Nord eröffnet. Ab etwa 2020 müssten für ihn die drei Dörfer Grabko, Kerkwitz und Atterwasch verschwinden, in denen etwa 900 Menschen wohnen. Die Genehmigungsverfahren für die Tagebaue Bagenz Ost und Spremberg Ost würden 2015 folgen. Umsiedlungen sind hier bislang nicht geplant. Insgesamt liegen in den drei Feldern etwa 700 Millionen Tonnen Braunkohle, die bis über das Jahr 2050 hinaus abgebaggert und in den Kraftwerken Schwarze Pumpe und Jänschwalde zu Strom werden sollen. Derzeit baut Vattenfall an einem Pilotkraftwerk am Standort Schwarze Pumpe, in dem das bei der Verbrennung der Braunkohle erzeugte CO2 nicht entweichen, sondern mittels des Osyfuel-Verfahrens in der Erde gespeichert werden soll. Kritiker des Braunkohletagebaus bezweifeln den Sinn dieser Technik.

www.keine-neuen-tagebaue.de

Heute ist sie in Hornow zu Hause. Hornow liegt auf halber Strecke zwischen Spremberg und Forst, in der Lausitz, wie das berühmte Horno ohne "w" am Ende, das dem Braunkohletagebau weichen musste und dessen Bewohner in ein nagelneues Dorf zogen. Das steht Peter Bienstman, Goedele Matthyssen und den anderen Hornowern nicht bevor - "aber vielleicht etwas viel Schlimmeres", seufzen sie. Denn unter den Äckern, Wiesen und Stoppelfeldern, die immer an einem Waldrand enden, liegen 250 Millionen Tonnen Braunkohle.

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall plant in den nächsten Jahrzehnten drei neue Tagebaue in der Lausitz, einer davon wird Bagenz Ost heißen und sich bis an den Ortsrand von Hornow erstrecken. Im Jahr 2015 soll das Planungsverfahren eröffnet werden, sechs bis sieben Jahre später könnte es losgehen, die beiden Schokoladenfabrikanten wären dann um die 50. Ihr Haus stünde am Rande eines riesigen Kraters, in dem sich Stahlgerüste kreischend bis zu hundert Meter tief in die Erde fressen. Eine Entschädigung bekommen die Bewohner der Dörfer, die den neuen Tagebauen weichen müssen. Etwa 900 werden wohl betroffen sein. Die am Rande müssen mit der neuen Aussicht leben. Die Hornower kennen sie, wie jeder in der Lausitz. Seit mehr als hundert Jahren wird dort Braunkohle abgebaggert, der Tagebau und die Kraftwerke Vattenfalls prägen die Region.

Essen von den Nachbarn

"Wir haben uns sofort in die Gegend verliebt", sagt Goedele Matthyssen, "in die Natur, in die Stille, und in die Dunkelheit der Nacht." Anfang der 90er Jahre, der Ingenieur und die Krankenschwester hatten gerade einige Jahre in Nigeria als Entwicklungshelfer gearbeitet und wollten zurück nach Europa, kamen sie durch Zufall zum ersten Mal in Brandenburgs Süden. Und entschlossen sich, zu bleiben. "Belgien ist so dicht besiedelt, überall sind Straßen, auch nachts ist es hell", sagt Goedele Matthyssen. So eine Weite und Ruhe wie hier um Hornow die gebe es dort nicht mehr. Der Tagebau, natürlich, der war da, 365 Tage im Jahr. Aber eben nicht so nahe, dass er Tag und Nacht zu sehen, zu riechen und zu hören gewesen wäre. Sie fanden eine LPG-Küche in der alten Scheune des Hornower Herrenhauses, "und während er mit der Bürokratie gekämpft hat, habe ich das Schokoladenhandwerk gelernt", sagt Goedele Matthyssen. Sie bauten die Scheune aus und um, kauften Wiesen und nach und nach ein paar Hektar Wald hinzu. Nach schwierigen Anfangsjahren, in denen die beiden auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen waren und ihnen die Nachbarn auch mal ein Mittagessen rüberbrachten, haben sie heute 45 Mitarbeiter angestellt, vor Weihnachten waren es mehr als 50.

33,3 Grad für den Glanz

Vor drei Jahren wurde Goedele Matthyssen Unternehmerin des Jahres in Brandenburg, das Land hat nicht viele solcher kleinen Erfolgsgeschichten, schon gar nicht an seinen Rändern wie der Lausitz. Rund 15 Prozent der Menschen sind hier arbeitslos. Die meisten der Mitarbeiter der Confiserie Felicitas sind Frauen, alle kommen aus der Region. Sie überwachen in der Manufaktur die Temperatur der flüssigen Schokolade, 33,3 Grad müssen es sein, damit die Köstlichkeiten getrocknet glänzen. Sie füllen die Masse in Formen aus Plexiglas und schreiben in Schönschrift mit weißer Schokolade "Waidmannsheil" oder "Herzlichen Glückwunsch" darauf.

Die meisten der ehemaligen Melkerinnen, Facharbeiterinnen für Rinderproduktion oder Verkäuferinnen sind nach mehreren Jahren Arbeitslosigkeit oder ABM-Karrieren ins Schokoladenfach eingestiegen. Eine hat vorher als ABM-Kraft Bäumchen in ein rekultiviertes Baggerloch gepflanzt. "Sind alle eingegangen", meint sie, "Grundwasser ist weg." Trotzdem wird sie sich nicht engagieren gegen die neuen Pläne Vattenfalls. "Sieht man doch an Horno, was die Proteste nützen", sagt sie, "gar nischt." Mit dem Tagebau müsse man in der Lausitz eben leben. Eine Kollegin, die ein sperriges Tablett mit Krokant durch eine Tür bugsiert, schüttelt den Kopf. "Ich hab schon dagegen unterschrieben", meint sie, "muss man einfach."

"Wenn der Tagebau kommt, machen wir ein Café am Baggerloch", sagt Goedele Matthyssen. "Das ist Galgenhumor", sagt ihr Mann. Als sie von den Plänen Vattenfalls gehört haben, herrschte bei ihnen eine Stimmung "wie beim Weltuntergang". Inzwischen wissen sie nicht mehr so recht, was sie davon halten sollen. Vattenfall ist ein guter Kunde, zu Weihnachten haben sie für das Unternehmen Schokoladenbriketts hergestellt, Weihnachtspräsente für die Mitarbeiter.

"Als Unternehmer darf man nicht zu vielen Leuten auf die Füße treten", sagt Peter Bienstman. Schließlich gebe es viele in der Lausitz, die auf die ein oder andere Weise vom Braunkohletagebau lebten. Und auch sie selbst seien doch letztlich auf die Braunkohle angewiesen, auch ihre Produktion verbrauche viel Energie. "Und der Strom, der kommt bei uns aus der Steckdose", sagt Bienstman. Vielleicht hätte die rot-schwarze Landesregierung gar keine andere Wahl, als die Pläne Vattenfalls zu unterstützen.

"Je länger man darüber nachdenkt was da kommt, desto schrecklicher wird es." Bild: Heike Holdinghausen

Der Konzern beschäftigt 5.000 Menschen in der strukturschwachen Region. Jetzt baut er in der Lausitz ein neues Braunkohlekraftwerk und will die alten umrüsten. Das CO2, das sie jetzt noch in die Atmosphäre blasen, soll dann gespeichert werden. Der studierte Ingenieur Bienstman zuckt mit den Schultern. "Die sollen mehr Geld in die Forschung für erneuerbare Energien stecken, da liegt doch eh die Zukunft." Und fragt sich inzwischen, "wer hier eigentlich die Politik macht, die Regierung oder die Konzerne?". Die Zukunft der Lausitz liege, so ist das Ehepaar überzeugt, im Tourismus. An ihrer kleinen Confiserie sehe man doch, dass es laufen könne.

Etwa die Hälfte ihrer Spezialitäten verkauft die Schokoladenfabrik an Fachhändler, die andere an Kunden im Werksverkauf. Sie kommen mit Reisebussen in die restaurierte Scheune und decken sich vor Ort mit Schokolade ein. Nachher geht es noch in Erwin "Strittmatters Laden", das Museum des Schriftstellers in seinem Heimatdorf Bohsdorf, oder in den Fürst-Pückler-Park ins sächsische Bad-Muskau, der zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. Zwei bis drei Busse mit "Schokoladentouristen" kommen täglich nach Hornow. "Kennt in Berlin und Umgebung inzwischen jeder Reiseunternehmer", sagt ein Busfahrer.

Vorerst haben die beiden die Unterschriftenlisten der Initiative "Keine neuen Tagebaue" noch nicht in ihrem Laden ausgelegt. Seit Oktober organisiert das Bündnis von Umweltorganisationen, der Brandenburger Grünen und der Linken den Widerstand gegen den Tagebau. Erstes Ziel ist, eine Volksinitiative gegen die Landesregierung durchzusetzen, die sich hinter die Pläne Vattenfalls gestellt hat. Aber es gärt in den beiden Belgiern, und es gärt auch in der Bevölkerung. Zwar sind noch immer mehr als die Hälfte der Brandenburger für den Braunkohleabbau. Doch die Gegner kämpfen nicht mehr alleine, Dorf für Dorf, gegen Umsiedlung und Heimatverlust.

"An die Enkel denken"

Neben der Initiative für das Volksbegehren haben sich rund 40 Dörfer zusammengeschlossen, die vor allem gegen die weitere Umsiedlung ganzer Ortschaften antreten. Auch das Hornower Gemeindeoberhaupt Lothar Hendrischk war beim Gründungstreffen dabei. "Wir müssen mit aller Macht gegen Bagenz Ost kämpfen", sagt der 73-Jährige. "Wir erleben es ja nicht mehr", sagt er, "aber man muss auch an die Enkel denken." Kommt der Tagebau, sinkt das Grundwasser ab, es gibt nur noch Staub und Dreck, ist der Hornower Bürgermeister überzeugt. "Da werden schon einige ihr Ränzlein schnüren und weggehen."

Goedele Matthyssen und Peter Bienstman mögen daran noch nicht denken. Wenn die 39-Jährige durch den Wald hinter ihrem Haus stapft, kann sie viel erzählen über die alten Gräber der Gutsherren, die dort vor sich hinmodern, darüber, dass dieser Wald einmal ein Park war, woran die Rhododendren unter den Kiefern erinnern und über die jungen Eichen, die ihr Mann hier neulich gepflanzt hat. "Wozu eigentlich", sagt er, "wird doch eh alles weggebaggert." Und genau das sei das Problem, die Perspektivlosigkeit. "Wer weiß, wo es unsere Kinder später mal hintreibt. Dann werden wir eben auch weiterziehen." Sagt er und schaut lange auf die Koppel nebenan, auf der die zwei Norwegerpferde und der Esel seiner Frau grasen. Er wolle ja nicht jammern, "aber je länger man darüber nachdenkt was da kommt, desto schrecklicher wird es."

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