Kommentar Esra-Roman: Der Preis der Borderline-Literatur
Maxim Biller muss seiner Exfreundin ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro zahlen. Nur die Selbstentblößung bleibt weiterhin umsonst.
W äre es ein Drama, man könnte es "Kill Biller" nennen. Eine Exfreundin des Schriftstellers hat jetzt nicht nur erreicht, dass sein Roman "Esra" verboten wurde, weil sie sich in dessen Hauptfigur wiedererkannte. Sie hat vor einem Münchner Gericht für die erlittene Zumutung nun sogar ein üppiges Schmerzensgeld von 50.000 Euro erwirkt.
Daniel Bax ist Meinungsredakteur der taz.
Wie hätte der Schriftsteller Maxim Biller wohl reagiert, hätte eine seiner Exfreundinnen in einem Buch peinlich intime Details aus ihrer Beziehung ausgebreitet und mit fiktiven Passagen vermengt? Ob er deshalb auch vor Gericht gezogen wäre oder sich demütig der Freiheit der Kunst gebeugt hätte? Darüber kann man nur spekulieren.
Sicherlich ist der Schriftsteller Maxim Biller in diesem Fall zu weit gegangen, indem er auf die Verfremdung seiner Protagonisten weitgehend verzichtete. Sollte es ihm mit seiner Grenzüberschreitung nur um Aufmerksamkeit und damit um den Erfolg gegangen sein, so wäre ihm ein Eigentor gelungen. Die Höhe des Schmerzensgelds dürfte auch auf andere Autoren eine abschreckende Wirkung haben, allzu freimütig aus dem Privatleben anderer Menschen zu plaudern.
Die Freiheit der Kunst schmälert das nicht. Denn offenkundig ist, dass es sich bei "Esra" um einen absoluten literarischen Grenzfall handelt. Tatsächlich muss man ihn, statt mit anderen Romanen, wohl eher mit anderen medialen Grenzüberschreitungen vergleichen - mit Reality-TV-Formaten etwa, in denen Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen. Oder mit den erfundenen Interviews, mit denen der Journalist Tom Kummer in den Neunzigerjahren aufflog.
Borderline-Journalismus taufte Kummer seine fiktiven Gespräche mit Weltstars wie Janet Jackson damals. So gesehen könnte man "Esra" als einen Fall von Borderline-Literatur bezeichnen. Tom Kummer bezahlte seinen Fehler, indem er von seriösen Publikationen seitdem geächtet wurde. Im Vergleich dazu hat Maxim Biller trotz der schmerzhaften Strafe vielleicht sogar noch Glück gehabt.
Sicher ist jedenfalls: Nur die Selbstentblößung bleibt weiterhin umsonst.
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