Die Schmuddelkinder des Bio-Booms: Junkfood mit Öko-Siegel
Der Bio-Boom bringt umstrittene Produkte hervor: Tiefkühlpizza, Puddingpulver oder Chips - mit Bio-Siegel. Und wie reagiert die Branche?
Früher war die Welt so einfach. Öko - das waren Müsli und Vollkornnudeln, Schrumpeläpfel oder krumme Möhren, und - wenn es mal was zum Naschen sein sollte: Haferkekse oder Reiswaffeln. Heute haben große Biosupermärkte eine Produktpalette, die sich kaum mehr von der konventionellen Konkurrenz unterscheidet.
Derzeit bricht ein neuer Damm: Auf den deutschen Biomarkt, der 2007 auf fünf Milliarden Euro gewachsen ist, drängen neue Akteure. Während die Produkte bisher meist von reinen Bioherstellern kamen, lockt die steigende Nachfrage inzwischen auch die großen Lebensmittelkonzerne an. Ob Ritter Sport, Hengstenberg, Dr. Oetker, Haribo, Coppenrath & Wiese oder Funny Frisch: Von den Ausgaben für Ökowaren, die letztes Jahr laut Marktforschungsgesellschaft GfK um 21 Prozent gewachsen sind, wollen alle etwas abhaben. Denn Bio ist kein Nischenprodukt mehr: Mehr als 90 Prozent der deutschen Haushalte haben 2007 mindestens ein Ökoprodukt gekauft. Und das soll so weitergehen.
"Wir glauben daran, dass die Bio-Nachfrage ein lang anhaltender Trend ist", sagt Harald Stoffels, Sprecher des Funny-Frisch-Herstellers Intersnack. Seit Oktober hat der Marktführer für salzige Knabbereien darum zwei Sorten Biochips im Angebot. Derzeit machen sie nur einen winzigen Anteil vom Geschäft aus, bedeuten aber einen großen Aufwand: Weil die bisherigen Lieferanten keine Bioprodukte herstellen, mussten neue gesucht werden - für die Kartoffeln etwa in Österreich. Zudem müssen konventionelle und Biorohstoffe getrennt gelagert und in der Produktion streng getrennt werden. Doch das Unternehmen hofft auf Wachstum in diesem Segment und will bei Erfolg auch weitere Produkte in Bioqualität auf den Markt bringen.
Ähnlich argumentiert der Lebensmittel-Riese Dr. Oetker, der seit letztem Jahr neben Pudding und Grießbrei auch seine Tiefkühlpizza "Rustica" in zwei Biovarianten anbietet. "Bio ist aus der Nische herausgekommen", sagt Sprecherin Birgit Kopera. "Und auch wir wollen die Zielgruppe der umweltbewussten Verbraucher ansprechen." Die Resonanz bei Kunden und Händlern sei durchweg positiv.
Bei den Vertretern der traditionellen Biobranche lösen die neuen Produkte hingegen zwiespältige Gefühle aus. "Prinzipiell ist es ja nicht schlecht, wenn Markenhersteller jetzt auch Bio machen", sagt Alexander Gerber, Geschäftsführer beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, einem Zusammenschluss von Bioherstellern und -händlern. Einen Verdrängungswettbewerb befürchtet Gerber dabei nicht, denn die neuen Anbieter würden eher konventionelle Supermärkte bestücken und damit neue Märkte erschließen. "Aber die Qualität muss schon stimmen."
Problematisch ist aus Sicht der Branchenpioniere vor allem, dass mit dem Einstieg der konventionellen Konzerne ein Trend zu immer stärker verarbeiten Bioprodukten einhergeht. Mehr als 1.500 Treffer listet die Datenbank der Nürnberger BioFach-Messe für die Stichworte "Tiefkühlkost" und "Convenienceprodukte". Biokartoffeln werden zu Püree-Pulver, Chips und Pommes verarbeitet, Biotomaten zu Fertigsugo, Tiefkühl-Lasagne und Ketchup.
Dem Wunsch nach mehr Fertiggerichten könne sich die Biobranche nicht verschließen, meint Ralf Halsfeld vom Anbauverband Bioland. Zeitdruck und Stress ließen es oft nicht zu, eine frische Mahlzeit zuzubereiten. "Wir als Verband können die Arbeitswelt nicht korrigieren, wir können nur reagieren", sagt Halsfeld. Und so gibt es Bioland-Bauern, deren Ware in Eiscreme, Ketchup, Chips und Tiefkühlpizza landet. Ähnlich argumentiert Renée Herrnkind vom Verband Demeter, der nach besonders strengen Kriterien arbeitet. "Die Verbraucher sollen entscheiden. Wenn sie Fertigprodukte wollen, sollen sie wenigstens die beste Qualität kriegen."
Auch Katja Niedzwezky, Sprecherin des Bundesverbands Naturkost und Naturwaren (BNN), räumt ein, dass sich die Branche dem Conveniencegedanken von Fertigprodukten nicht verschließen kann. Aber grundsätzlich sieht sie den Trend kritisch: "Es sollte auch Aufgabe der Branche sein, die alten Werte der Ernährung weiterzutragen, dass möglichst wenig weiterverarbeitet, wenig und umweltfreundliche Verpackung verwendet und auf den Energieverbrauch geachtet wird."
Die meisten neuen Bioprodukte der großen Marken orientieren sich an den Vorgaben des staatlichen Bio-Siegels. Dies erlaubt bei weiterverarbeiteten Produkten einen Anteil von bis zu 4,9 Prozent an konventionellen Zutaten. Eine Ausnahme, die eigentlich für Fälle gedacht ist, in denen eine notwendige Zutat nicht ausreichend in Bioqualität verfügbar ist. "Jetzt gibt es allerdings zunehmend Produkte, die den rechtlich zulässigen Rahmen voll ausschöpfen", berichtet BÖLW-Geschäftsführer Gerber. "Man kann nicht alle über einen Kamm scheren, aber viele der neuen Anbieter gucken nur auf die Rendite, nicht auf den Inhalt."
Gleichzeitig werden in den neuen Produkten verstärkt Zusatzstoffe eingesetzt, die bei Ökoprodukten bisher die Ausnahme waren. So gehört zum neuen Bio-Sortiment von Rewe ein Citrus-Ananas-Getränk, das weder Ananas- noch Zitronensaft enthält. Der Geschmack stammt - wie auch beim Vorbild Bionade Litschi - komplett von Aromastoffen, die zwar den Zusatz "natürlich" tragen, aber trotzdem nicht aus dem bezeichneten Lebensmittel stammen müssen, sondern mithilfe von Pilzen und Bakterien aus diversen Rohstoffen gewonnen werden. "Das hat mit der ursprünglichen Bio-Idee nichts mehr zu tun", sagt Gerber.
Anbauverbände wie Demeter handhaben Zusatzstoffe besonders restriktiv, aber auch beim staatlichen Bio-Siegel sind deutlich weniger Zusatzstoffe erlaubt als bei konventionellen Lebensmitteln. Teilweise heißen sie aber auch nur anders. Statt "Geschmacksverstärker Natriumglutamat" steht bei Ökowaren oft "Hefeextrakt" auf der Zutatenliste - doch der enthält ebenfalls Glutamat und zwei weitere Geschmacksverstärker, berichtet Andreas Eickelkamp von der Verbraucherorganisation Foodwatch. Er sieht den Einsatz von Zusatzstoffen generell kritisch. "Zitronensäure, auch bekannt als E330, schädigt die Zähne - egal ob das Produkt bio ist oder nicht."
Unstrittig ist, dass beim Bioanbau die Umwelt profitiert, weil auf Kunstdünger und Pestizide verzichtet wird. Keinesfalls sollten VerbraucherInnen jedoch annehmen, dass Bioprodukte automatisch gesund seien, warnt Eickelkamp. "Auch aus Bioöl und Biokartoffeln kann man ein sehr ungesundes Produkt machen."
Dass sein Produkt nicht zum Bio-Gedanken passt, diese Kritik kann der Chipshersteller Funny Frisch nicht nachvollziehen. Im Gegenteil: "Chips sind doch schon immer ein Naturprodukt aus Kartoffeln, Öl und Gewürzen", sagt Sprecher Harald Stoffels. "Biochips sind darum lediglich eine Radikalisierung dessen, was wir schon immer gemacht haben."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung