Konsumkritik in der Literatur: Neues vom Homo shoppiensis
Die Konsumkultur macht aus Bürgern Kinder, bilanziert der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber in seiner Streitschrift "Consumed".
Das Konsumieren ist ins Gerede gekommen. Das ist insofern schon bemerkenswert, als die "Kommerzkritik" ja in den 50er- und 60er-Jahren ihren ersten Höhepunkt hatte, von Vance Packards "Geheimen Verführern" bis etwa zu Wolfgang Fritz Haugs "Kritik der Warenästhetik". Später wurde eher "der Kapitalismus" insgesamt kritisiert oder seine eher greifbaren Schattenseiten: dass er ungerecht ist, dass er dafür sorgt, dass in der Dritten Welt die Kinder verhungern, oder dass er chronische Instabilitäten produziert. Aber das Kaufen selbst, der Hunger des Konsumenten nach dem immer Neuen, die Verstrickung des Verbrauchers in "das System" schien kaum von großem Interesse. Und Werbung? Darüber schrieb man keine kritischen Bücher mehr.
Erst in den vergangenen Jahren ändert sich das. Von "No Logo" (Naomi Klein) bis "Habenwollen" (Wolfgang Ullrich), von "No Shopping!" (Judith Levine) bis "Gute Marken, böse Marken" (Stefan Kuzmany) - zunehmend wird die Frage aufgeworfen, was die Konsumkultur aus den Menschen macht, was das denn für ein Wesen sei, der Homo shoppiensis. Es ist, meint Benjamin Barber nun, nicht gerade die Krone der Schöpfung. Die Totalkommerzialisierung mache nicht nur Kinder zu Konsumenten, sondern Konsumenten zu Kindern. Überraschungseier werden an der Kasse so präsentiert, dass die Kinder garantiert "Ich will" rufen. Aber auch Erwachsene werden darauf gedrillt, immer "Ich will" zu rufen.
Der Konsumkapitalismus hat sein spezifisches Ethos - ein infantilistisches Ethos. Man will Dinge haben, schnell haben, unkompliziert haben, und die Güter werden wie Spielzeug beworben, was ihrer Funktion oftmals auch entspricht. Barbers Schlüsselthese: Vor hundert Jahren war der Kapitalismus mit dem, was Max Weber sein "protestantisches Ethos" nannte, noch mit Tugenden verbündet, aber heute, so Barber, "ist er verbündet mit Lastern". Die Folge: Narzissmus, Verantwortungslosigkeit, Verschwinden des Bürgersinns, Kulturverlust.
Barbers Streitschrift lappt mehr als nur ein wenig in Richtung Jeremiade, und der Sinn für Ambivalenzen ist nicht die größte Stärke dieses Autors. Das konnte man schon bei früheren Büchern bemäkeln, etwa bei seinem mittlerweile berühmten "Jihad vs. McWorld" (1995). Barber ist ein amerikanischer Linksliberaler mit einer starken Prise konservativem Kulturpessimismus. Nur: Falsch sind die Dinge deswegen noch lange nicht, die er schreibt. Im Gegenteil: Schon "Jihad vs. McWorld" brachte eine Weltkonstellation auf einen griffigen Nenner, noch bevor irgendjemand von al-Qaida gehört hatte.
Jetzt nennt er den Zugriff, den der Konsumkapitalismus auf unsere inneren und äußeren Lebenswelten, auf unsere Psyche ebenso wie auf die Städte nimmt, "totalisierend". Die Kommodifizierung ist wie ein Computervirus, der alles infiziert und das, was er vorfindet, in seinem Sinne umformt. Dass man angesichts dessen das Marktgeschehen ausgerechnet mit dem Begriff "Freiheit" verbunden hat, hält Barber für eine ziemliche Chuzpe.
"Wenn jeder Bereich unseres vieldimensionalen Lebens von der Religion kolonisiert wird, sprechen wir ja auch von einer Theokratie, und wenn jeder Bereich von der Politik vereinnahmt wird, nennen wir das Ergebnis Tyrannei. Wenn es nun der Markt mit seiner aufdringlichen Ideologie des Konsums und seiner verbissenen Orthodoxie des Geldausgebens ist, der jeden Bereich unseres vieldimensionalen Lebens kolonisiert - wieso nennen wir das Ergebnis dann Freiheit?"
Der Verbraucher ist in einem "freudlosen Käfig", in dem er nicht glücklich wird. Er macht selbst mit bei seiner Entmündigung. Aber Barber sieht auch Hoffnungsschimmer: die Anti-Marken-Kampagnen der "Culture Jammer", die Widerständigkeit lokaler Kulturen, das bewusste Agieren des "verantwortlichen Konsumenten". Für sich genommen reicht nichts von dem, aber alles zusammen sind Indizien dafür, dass es den Bürgern allmählich auch reicht. Nicht zuletzt der Erfolg konsumkritischer Bücher ist hierfür ein, ja, Marktsignal: Die Verbraucher wollen sie.
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