Polizei ermittelt auf Kanal-Insel Jersey: Missbrauch im Kinderheim

Die Ermittlungen auf der Insel Jersey ziehen weite Kreise: Über 160 ehemalige Heimkinder haben sich inzwischen bei der Polizei gemeldet.

Betroffenheit in Jersey: Die Polizei rechnet mit weiteren Leichen. Bild: reuters

DUBLIN taz Einen so widerwärtigen Fall hatte Bergerac noch nie. Der Detektiv aus der gleichnamigen Fernsehserie der Achtzigerjahre hat die Kanalinsel Jersey berühmt gemacht. Das Gebäude, das in der Serie als Polizeirevier diente, steht nun im Mittelpunkt einer Untersuchung, in der es um Kindesmissbrauch, Folter und Mord geht.

Haut de la Garenne ist ein Kinderheim aus viktorianischer Zeit, 1867 als "Industrieschule für die Kinder der niederen Klassen" gebaut und 1986 geschlossen. Vor elf Tagen wurde dort der Schädel eines Kindes gefunden. Seitdem hat die Polizei das Haus mit Spürhunden untersucht und eine gruselige Entdeckung gemacht: Sie fanden im Flur eine versteckte Falltür, die zu drei Verliesen im Keller führt. In die Wände sind Fußketten eingelassen.

Für die Inselbewohner können die Enthüllungen über Haut de la Garenne keine große Überraschung sein. Gerüchte über Misshandlungen im Heim gab es schon in den Sechzigerjahren. Als Stuart Syvret, der damalige Gesundheitsminister der Insel, das vor zwei Jahren öffentlich ansprach, wurde er gefeuert, doch die Polizei nahm heimliche Ermittlungen auf.

Verhaftet wurde vorigen Monat ein ehemaliger Mitarbeiter des Kinderheims. Dem heute 76-jährigen Gordon Wateridge wird die Vergewaltigung von drei Mädchen in den Siebzigerjahren vorgeworfen. 40 weitere Verdächtige sollen in den nächsten Wochen vernommen werden. Die Polizei lässt den Hafen und den Flughafen überwachen, damit sie nicht fliehen können.

Mehr als 160 ehemalige Insassen des Heims haben sich bei der Polizei gemeldet. Einer von ihnen, ein 38-jähriger namens Steve, sagt, er sei mit acht Jahren nach Haut de la Garenne gekommen und 16 Jahre lang regelmäßig vergewaltigt, geschlagen und erniedrigt worden - und zwar nicht nur von der Heimbelegschaft, sondern auch von Besuchern und anderen Kindern. Steve sagt, ein früherer Sozialarbeiter habe ihm geraten, dass es in seinem eigenen Interesse sei, über die Vorfälle zu schweigen.

Jersey ist eine Insel der Geheimnisse. Die Kanalinseln vor der nordfranzösischen Küste - neben Jersey sind das Guernsey, Alderney, Herm, Sark und ein paar noch kleinere Inseln - werden zwar von London aus regiert, aber dem Vereinigten Königreich oder der EU gehören sie nicht an. Die inneren Angelegenheiten erledigt das Inselparlament. Die Kanalinseln waren der einzige Teil Großbritanniens, der von den Nazis besetzt wurde.

Es wird wohl noch ein Jahr dauern, bis die Untersuchung des Kindesmissbrauchs in Haut de la Garenne abgeschlossen ist. Die Polizei rechnet mit weiteren Leichen. Offenbar wurden diejenigen, die bei den Torturen ums Leben gekommen sind, einfach als "Ausreißer" gemeldet, als ob man auf der 116 Quadratkilometer kleinen Insel so einfach untertauchen könnte.

Wer gehofft hat, dass die Untersuchung nur in der Vergangenheit herumstochert, sah sich getäuscht. Am Wochenende kam heraus, dass sich der jüngste Fall von Kindesmissbrauch kurz vor Weihnachten 2007 in einem anderen Kinderheim auf Jersey ereignet hat. RALF SOTSCHECK

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