Interview: "Bei vielen Kollegen fährt die Angst mit"

Die Angreifer sehen Bus und Bahn offenbar als rechtsfreien Raum, sagt der Betriebsratsvorsitzende der BVG-Tochter "Berlin Transport" Thomas Wiener. Interview

taz: Herr Wiener, am Wochenende gab es erneut schwere Übergriffe auf Mitarbeiter und Kunden der BVG. Gehen die Busfahrer noch gerne zur Arbeit?

Thomas Wiener: Das wird mit jedem Tag schwieriger. Bei vielen Kolleginnen und Kollegen fährt die Angst mit. Jeder fragt sich, wann er der Nächste ist. Einige Fahrer wollen bestimmte Linien nicht mehr fahren.

Welche Linien betrifft das?

Es ist schwierig zu sagen, welche Linien im Einzelnen betroffen sind. Schwerpunkte sind die Linie M 29 in Kreuzberg, die 247 vom Leopoldplatz zum Nordbahnhof und die Linie M 48 vom Alexanderplatz nach Zehlendorf. Die Linien im Wedding sehen die Busfahrer ebenfalls als Brennpunkte.

Gibt es in letzter Zeit mehr gewalttätige Übergriffe als früher?

Die Brutalität der Angriffe hat zugenommen. Viele Täter sind offenbar der Meinung, öffentliche Verkehrsmittel seien rechtsfreier Raum ohne Strafverfolgung. Der Respekt vor den Fahrern geht verloren.

Wie gehen die damit um?

Wenn Sie einen Beruf machen, bei dem Sie mit dem Herzen dabei sind, werden Sie den auch immer gerne weitermachen. Natürlich stellen die Kolleginnen und Kollegen aber Anforderungen an die Unternehmensführung und den Senat. Wir haben eine Unterschriftenaktion für einen runden Tisch mit der Unternehmensleitung und dem Senat gestartet. Die Aktion stößt auf hohe Resonanz. Innerhalb von drei Stunden haben wir mehr als 300 Unterschriften gesammelt.

Wie ist die Stimmung unter den Busfahrern?

Die Fahrer sind wütend über die Ignoranz des Senats und die Unternehmensleitung der BVG. Bereits in der Vergangenheit haben wir gefordert, endlich etwas gegen die Übergriffe auf das Fahrpersonal zu tun. Ich habe Angst, dass wir irgendwann einen toten Fahrgast oder Kollegen zu beklagen haben. Damit es nicht so weit kommt, setzen wir uns jetzt so massiv ein.

Was fordern Sie vom Senat?

Der Senat hat das Problem in der Vergangenheit unterschätzt. Es gab ja schon einen runden Tisch, aber leider haben unsere Kolleginnen und Kollegen danach keine Veränderungen festgestellt. Der Senat muss jetzt seine passive Haltung aufgeben.

Welche Maßnahmen muss die BVG gegen die Gewalttaten ergreifen?

Wir brauchen Videoüberwachung in allen Bussen und Bahnen. In den Straßenbahnen sind zum Beispiel nur 10 bis 15 Prozent der Fahrzeuge mit Videokameras ausgestattet. Wir müssen sehen, ob und wie Sicherheitskabinen für die Busfahrer realisierbar sind. Bei den U-Bahnen ist Sicherheitspersonal auf den U-Bahnhöfen ganz wichtig. Es gibt derzeit nur Bahnhofsbetreuer, die von Bahnhof zu Bahnhof fahren. Die früheren Zugabfertiger wurden ja eingespart. Die BVG hat zwar Notrufsäulen installiert, aber ehe Polizei oder Sicherheitskräfte eintreffen, vergeht eben einige Zeit.

Erhöht die derzeitige Situation die Streikbereitschaft der Mitarbeiter?

Ich glaube schon. Den Fahrern wird finanziell zu viel zugemutet. Busfahrer ist ein sehr gefährlicher Beruf. Spätestens seit dem letzten Wochenende dürften auch die Unternehmensleitung und der Senat verstanden haben, dass dieser Beruf aufgewertet werden muss. Der Finanzsenator, Thilo Sarrazin, sollte sich um die wirklichen Probleme der Stadt kümmern, anstatt Speisepläne für Hartz-IV-Empfänger aufzustellen.

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