Perspektiven für Russlands neuen Präsidenten: Rätselraten um Medwedjews Rolle

Gasstreik-Revival mit der Ukraine, Härte gegen Demonstranten: Hat Medwedjew schon seine Finger mit im Spiel? Oder wird er schon jetzt übergangen?

Wer ist dieser Mann? Wie ein Draufgänger, der Putin die Stirn bietet, wirkt er nicht... Bild: dpa

Derzeit macht ein Witz in Moskau die Runde. Präsident Putin und Nachfolger Dmitrij Medwedjew sitzen im Restaurant. "Für mich ein Steak", sagt Putin. Der Ober daraufhin: "Und das Gemüse?" "Das nimmt auch eins". 70 Prozent der Wähler gaben dem neuen Präsidenten am letzten Sonntag nach offizieller Zählung die Stimme. Was für ein Mensch und Politiker sich hinter dem verbirgt, den sie mit einem traumhaften Vertrauensmandat ausstatteten, wissen aber nur die wenigsten. Die Hermetik der Macht und Hofintrigen haben inzwischen wieder sowjetisches Format erreicht. Mit der Unzugänglichkeit der Herrschenden und einer gleichgeschalteten Öffentlichkeit kommen unterdessen auch bissiger Witz und Satire zurück, die schon dem starren kommunistischen System als Ventil dienten.

Das Rätselraten hält an. Wird der neue Präsident aus dem Schatten des Vorgängers heraustreten? Lassen freundliches Auftreten und bessere Manieren auf eine Tauwetterperiode wie unter Michail Gorbatschow oder Nikita Chruschtschow schließen? In einer programmatischen Rede vor den Wahlen, die das klassische Vokabular westlicher Demokratietheorie referierte, machte er einigen heimischen Liberalen, vor allem aber dem Westen größere Hoffnungen. Offiziell übernimmt Medwedjew am 7. Mai die Geschäfte. Es ist somit noch zu früh, endgültige Urteile zu fällen.

Gleichwohl deuten einige Ereignisse unmittelbar nach der Wahl eher auf eine Fortsetzung des alten Kurses hin, die Medwedjew seinem Ziehvater schließlich auch gelobt hatte. Am Montag gingen Sicherheitskräfte in Moskau brutal gegen einige Dutzend Demonstranten der marginalen Opposition des "Anderen Russlands" vor. Tags drauf drehte Gasprom der Ukraine den Gashahn zu, was sich auch auf die Versorgung Europas auswirken und dem Image Moskaus erneut schaden könnte. Noch ist der Nachrücker auch Aufsichtsratsvorsitzender des Energiekonzerns. Am Mittwoch schließlich sickerte durch, dass der Kreml ausländischen Internetbetreibern und Verlagshäusern den Zugang zum russischen Markt versperren wolle. Als Urheber des Gesetzesprojekts zeichnet Präsidialamtsvizechef Wladislaw Surkow, Chefideologe und Anwärter auf die Leitung der Kremlkanzlei unter der neuen Führung.

Doch noch ist Medwedjew ja nicht im Amt. Dennoch stellt sich die Frage, ob ein vom Wähler so geschätztes Staatsoberhaupt nicht ein paar Worte mitreden sollte, sobald Entscheidungen fallen, die in dessen Amtszeit hineinreichen und mit ihm bereits in Verbindung gebracht werden. Niemand weiß, ob er konsultiert wurde. Aus den Vorfällen lassen sich mehrere Schlüsse ziehen. Entweder denkt auch der Neuling nicht daran, eine neue politische Linie ein zuschlagen oder er hat es versucht, kann sich jedoch noch nicht auf die Rückendeckung der entscheidenden Apparate stützen. Wahrscheinlicher allerdings ist, dass das harte Vorgehen als eine Warnung der alles dominierenden Sicherheitsapparate gemeint ist. Nach dem Motto: Hier ist dein Platz, wir haben das Sagen und daran wird sich auch nichts ändern.

Alle Szenarien enthalten zunächst keine frohe Botschaft. Weder innen- noch außenpolitisch ist mit einer Kurskorrektur zu rechnen, allenfalls in Stil und Manier. Das muss auf Dauer nicht so bleiben. Aura, Amt und Machtbefugnis des Throninhabers setzen Eigendynamiken frei. Neue Seilschaften, Bündnisse und interne Interessenkonflikte, die unerwartet Manövrierraum schaffen, sind nicht ausgeschlossen. Dennoch wird sich Medwedjew schwerer durchsetzen können als sein Vorgänger. Als Putin den Kremlposten übernahm, folgten ihm die Sicherheitsapparate bereitwillig. Der ehemalige FSB-Chef war nicht nur einer der Ihren, ein Geheimbündler, der dachte, lebte und fühlte wie sie. Vor allem hatte Putin der Gefolgschaft etwas anbieten. Die nach außen hin getarnte Renationalisierung der Energie- und Rohstoffindustrie. Kurzum: die Umverteilung der Pfründe von den Konten der Oligarchen auf die der Staatskamarilla. Auch damit erkaufte er sich nicht zuletzt Loyalität. Inzwischen ist so gut wie alles verteilt, während die an die Kandare genommenen Justiz- und Sicherheitsorgane vornehmlich im Interesse der neuen Klasse Recht sprechen und es auch beflissen umsetzen. Sie wurden kooptiert und durften sich an deren Rand parasitär einnisten.

Medwedjews programmatische Vision, Rechtsnihilismus und Korruption zu bekämpfen, dürfte da schnell an Grenzen stoßen. Er müsste gegen die Stützen des Systems zu Felde ziehen, das ihn hervorbrachte.

Überdies entziehen sich die Wucherungen der Bürokratie dem Zugriff der "Machtvertikale", die nicht wirklich funktioniert. Sie existiert, ist aber ineffektiv und korrupt bis aufs Mark. Wirkung entfaltet sie als Stabilität suggerierende Propagandawaffe. Tatsächlich arbeitet die Bürokratie auf eigene Rechnung. Wer daran etwas ändern will, wird nicht willkommen geheißen. Medwedjew ist nicht zu beneiden, er tritt ein furchterregendes Erbe an.

Ob er sich das zumutet? Den Eindruck eines Draufgängers erweckt er nicht. Noch etwas ist von Belang: Putin erhielt in freien und fairen Wahlen 2000 überwältigenden Zuspruch. Auch der Nachfolger schnitt glänzend ab. Doch ihm fehlt die Legitimität. Vor allem in den eigenen Kreisen und der Bürokratie, die sehr wohl wissen, wie viel Manipulation für das Ergebnis vonnöten war. Daran werden sie ihn erinnern, wenn er über die Stränge schlägt. Auch der Bürger wählte zwar wie befohlen. In Umfragen tat die Mehrheit indes kund, was sie wirklich dachte: es war weder eine echte noch ehrliche Wahl. Das Polster für einschneidende Veränderungen ist dünn. Mehr als eine Korrektur des Stils ist daher erstmal nicht zu erwarten.

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