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Kommentar YpsilantiDer schwarze Freitag

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Mitschuld an Ypsilantis schwungvollem Scheitern hat auch die Bundes-SPD - denn die ist unfähig, ein rationales Verhältnis zur Linken zu entwickeln.

D er Schaden für die SPD scheint total zu sein. Erst hat Andrea Ypsilanti ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt, weil sie ihr Wahlversprechen brach und sich von der Linken tolerieren lassen wollte. Dann scheiterte sie jäh an Dagmar Metzger. Dieser Flop wirft die Frage auf, ob Ypsilanti wusste, was sie tut. Das Ergebnis legt nahe: Sie wusste es nicht. Hätte es noch schlimmer kommen können? Ja, wenn Metzger ihre offenbar erdrückende Gewissensnot erst am 5. April entdeckt hätte. Ein schwacher Trost.

taz

Stefan Reinecke ist Meinungsredakteur der taz.

Es ist schwer zu sagen, ob dieses Fiasko nur auf Ypsilantis Konto geht oder ob die Konservativen in der SPD dabei tätige Mithilfe leisteten. Die Beteuerung des hessischen Vize-Fraktionschefs Jürgen Walter, dass die Fraktion sie geschlossen wählen würde, war jedenfalls nichts wert. Doch unter dem Strich steht: Ypsilanti hat ihren Ruf in kürzester Zeit schwungvoll zerstört. Daran ändert auch ihre bewunderswerte Fähigkeit nichts, noch vor rauchenden Trümmern integer zu wirken.

Die Gründe für Ypsilantis Scheitern liegen aber auch bei der Bundes-SPD, die unfähig ist, ein rationales Verhältnis zur Linkspartei zu entwickeln. Der Grundfehler war die 2007 von Kurt Beck verkündete Doktrin, dass die SPD nie mit der "sogenannten Linken" im Westen zusammenarbeiten werde. Damit bescherte er der Partei ein kaum lösbares Glaubwürdigkeitsproblem. Becks Versuch, den von ihm selbst verordneten Kurs zu korrigieren, kam zu spät und war auch noch höchst ungeschickt inszeniert. Kann es nun noch schlimmer kommen? Ja - wenn die SPD nun verschreckt zu ihrem "Nein" zur Linken zurückkehrt. Denn dann kann sich Hessen auch im Saarland und NRW wiederholen. So viel Lernblockade wäre ungewöhnlich - aber bei der SPD ist derzeit nichts ausgeschlossen.

Und in Hessen? Dort wird Roland Koch erstmal geschäftsführend im Amt bleiben. Wahrscheinlich wird er die Depression der SPD kalt nutzen und bei erster Gelegenheit Neuwahlen inszenieren. Dass Rot-Grün Koch nach diesem Laienschauspiel nochmal gefährlich werden kann, ist im Moment jedenfalls kaum vorstellbar.

Wer eine soziale, ökologische Republik will, für den war Freitag kein guter Tag.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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12 Kommentare

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  • JG
    Jürgen Giersberg

    Was wäre wohl, wenn SPD/Grüne der FDP den Ministerpräsidentenposten anbieten würden, oder umgekehrt die CDU/FDP eine Koalition mit einem "grünen" Ministerpräsidenten anstreben würde?

     

    Auch in Hamburg denkbar, "grüner" Oberbürgermeister mit SPD/Linke, allerdings müsste man vorher Herrn Naumann auswechseln.

  • M
    Michael

    Den Energiekonzernen wird es wohl am meisten nutzen wenn sie Ypsilanti verhindern können.Zuerst wurde ein ehemaliger SPD-Minister vorgeschickt um schon mal das Wahlergebnis zu drücken - hat nicht ganz gereicht-also kommt noch die Betroffenheitsnummer:nie wieder DDR! Hut ab,hat funktioniert.

  • ER
    Elmar Rühl

    Mit Staunen und - ja wirklich - Schrecken registriere ich, wie sehr Medien und Parteispitzen selbstgenügsam und ohne Bezug auf Inhalte politischer Programme die Hessenwahl und deren Folgen diskutieren.

    SPD und Grünen ging es um gerechtere und effizientere Bildungspolitik, humane Energiepolitik und einige Inhalte mehr. Deshalb haben wir sie anstelle der CDU gewählt. Die FDP erklärt bis heute, dass sie das nicht mitmachen will. Ihre inhumanen Ziele sind ohne Wortbruch erhalten geblieben.

    Ypsilanti hat einige Wochen gebraucht, bevor sie dem Anpassungsdruck gefolgt ist, der durch das Wahlergebnis begründet war. Aber das hat weder Medien noch politische Gegner daran gehindert, sie schon mal vorweg als wortbrüchig zu verurteilen.

    Ich halte die ganze "Wortbruch"-Diskussion jetzt für ein ganz elendes Marionettentheater, bei dem es überhaupt nicht mehr um uns Betroffene - Wähler und andere Teile der Bevölkerung - geht, sondern schlicht um die Fleischtöpfe der Politiker und der Medienleute, welche letztere nassforsch das als öffentliche Meinung predigen, was sie selbst produziert haben.

    In Deutschland regt vieles einen wachsenden Anteil der Bevölkerung zur aktiven oder passiven Emigration an. Irgendwo muss es doch noch ein Eckchen geben, wo es um die Leut' geht und nicht um die Apparatschiks.

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Eine soziale und ökologische Republik kommt nicht durch Reparaturen in die Welt, d.h. ist nicht per tausend Detail-Reparatur im System zuerreichen, sondern sie kommt durch jene Systemalternative zustande, die die gewachsene Konflikt-, Macht- und Parteienstruktur auflöst und den Übergang in die ante portes stehende, evolutionsprozess-logische Fortschrittsordnung organisiert.

     

    Deshalb ist jeder Tag, an dem die linken oder die rechten Systemreparteure sichtbar scheitern, weil sie im Gordischen Knoten vor aller Öffentlichkeit noch enger gefesselt erscheinen, kein Schwarzer Tag für die Chancen einer ökologischen und sozialen Republik.

     

    Tage wie diese in Hessen verschaffen uns allen im Gegenteil ein Gewinn - einen Erkenntnisgewinn. Die wahre, vorrevolutionäre Lage, die dem Sturz des Wachstumszwang-Regimes der Kapitalstockmaximierer vorangeht, tritt in diesen Tagen ins Licht der Öffentlichkeit - jedenfalls für jene, die ihre Systemscheuklappen verloren haben und in evolutionsprozess-logischen Ordnungsübergängen denken können.

  • LP
    Ludwig Paul

    Die SPD - Relikt aus der bereits 1973 zu Ende gegangenen Industriegesellschaft.

     

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    Wir brauchen eine ökosoziale Marktwirtschaft. Hierfür sind soziale Basisinnovationen erforderlich wie ein bedingungsloses Grundeinkommen - statt gesetzlicher Mindestlöhne - sowie der schrittweise Wandel zu einem konsumbasierten Steuerwesen in Form der MwSt. Schon heute haben die skandinavischen Länder 25% MwSt und meistern dadurch den Wandel zur nachindustriellen Gesellschaft wesentlich besser. Zudem brauchen wir Ökoabgaben mit Rückvergütung pro BürgerIn - am besten weltweit in Form von CO2-Abgaben.

     

    Doch für solche grundlegenden Innovationen ist die SPD taub. Man kann nur hoffen, dass die GRÜNEN, die FDP wie auch die CDU/CSU für diese notwendigen Neuerungen ein offenes Ohr entwickeln. Vorboten in allen drei Parteien gibt es schon: das GRÜNE Netzwerk Grundeinkommen, das liberale Bürgergeld und die negative Einkommenssteuer und das solidarische Bürgergeld-Konzept des thüringischen CDU-Ministerpräsidenten Althaus.

     

    Eine in sich zerstrittene und mit der PDS ringende SPD hat leider nicht die Kraft nach VORWÄRTS. Der SPD stehen schwere Jahre in der Opposition bevor oder gar ihr Untergang, falls sie nicht rechtzeitig erkennt, dass Grundeinkommen und Konsumsteuer zutiefst SOZIAL und DEMOKRATISCH sind.

     

    Ludwig Paul Häußner, Karlsruhe

  • P
    Piet

    Anstatt sich über das Scheitern von Frau Ypsilanti das Maul zu zerreißen, würde ich es begrüßen, wenn sich Journalisten mal an die Arbeit machen, herauszufinden, aus welcher Ecke Frau Metzger gesteuert wird. (Energiekonzerne?)

  • TF
    thomas fenkl

    sehr treffend ausgedrückt. ich frage mich ja des öfteren, ob die "politprofis" eigentlich eine strategieplanung machen, oder ob jeder gerade das sagt, was er momentan für richtig oder angebracht hält.

    es hätte den spd-oberen doch bereits 2007 klar sein müssen, dass ohne die linkspartei keine mehrheit links der union zu organisieren ist. und ypsilanti hätte ja durchaus auch mal auf den gedanken kommen können, ihr vorhaben vorher mit den spd abgeordneten abzusprechen (soo viele sind es ja nun auch wieder nicht).

     

    nun, die spd scheint jedenfalls genau zu wissen, wie man den politischen gegner aufbaut: erst das fenster zum aufbau der linkspartei öffnen, dann wie schröder rot grün vorzeitig und unnötiger weise beenden, dann die mehrheit links von der union verunmöglichen und als juniorpartner einer schwarz-roten koalition die merkel zur unangefochtenen nummer 1 aufzubauen und sie die früchte des sogenannten aufschwungs ernten zu lassen.

    dann verhilft man von beust zum machterhalt, der ja sowieso alles tut, um regierender bürgermeister zu bleiben (erst braun-schwarz nun schwarz-grün, indem man auch hier die linke mehrheit nicht realisiert. mit etwas geschick wird es also auch in hessen gelingen, koch weiterregieren zu lassen.

     

    beck kann der spd und deutschland einen großen gefallen tun: er sollte zurücktreten, sich rasieren und einen neuen namen zulegen, um dann unerkannt in die cdu einzutreten und dort einem unbedeutenden ortsverein seine kompetenzen anzudienen um die cdu von innen zu ruinieren.

  • MS
    Michael Scheier

    Der beste Kommentar, den ich in den letzten Tagen gelesen habe. Und dabei noch witzig! Geht doch! Gefällt mir jedenfalls viel besser als dieser blöde Kommentar von Frau Haarhoff - das ist reines Zickenkicken.

  • L
    Ludwig

    Na sowas, dass Politiker Wahlversprechen nicht halten ist doch nix neues. Eher gängige Praxis. Nur ist der Aufschrei in der Regel nicht so sehr vernehmbar. Wir erinnern uns an Kohls blühende Landschaften. Und an einen Bundeskanzler Schröder, der nach der Wahl 1998 plötzlich eine völlig andere Politik verfolgte als vor der Wahl propagiert. Neoliberal statt sozial. Und wie sagte ein Herr Müntefering nach der Wahl 2005 sinngemäß: man kann doch von der Politik nach der Wahl nicht erwarten, dass sie unbedingt hält, was sie vorher verspricht.Aha. Wieso als jetzt so ein Aufschrei? Kann es sein, dass da ein Machtkampf in der SPD über die generelle Ausrichtung der Partei zu Frau Ypsilantis Stolperstein wurde und interessierte Leute aus der eigenen Partei für sie und Herrn Beck 'Minen' ausgelegt haben?

  • HM
    Heinrich Müller

    Heinrich Müller

    Wassergasse 4

    93105 Tegernheim

     

     

    Sehr geehrte Damen und Herren!

     

    Warum gibt es denn die LINKE überhaupt? Weil Herr Schröder und seine Helfer die SPD mit Gewalt in ein neoliberales Fahrwasser nach rechts gezerrt haben und die Mehrheit der Partei sich dorthin zerren ließ. Jetzt sollte für Zusammenarbeit mit der fünften Partei gelten: Im Osten ja, im Westen nicht. Was für ein Unsinn! Das Ergebnis: Die geschröderte SPD kann künftig nur noch als Juniorpartner in sog. Großen Koalitionen unter schwarzem Kommando ein bisschen mitregieren. Das aber ist dem Wähler jetzt schon zu dumm und wird ihm bald noch mehr auf die Nerven gehen. Hätte die SPD nach 1998 sozialdemokratische Politik betrieben, statt nach ein paar Jahren die verliehene politische Macht dem Wähler vor die Füße zu werfen, wäre das ganze Hin und Her nie entstanden. Den grundlegenden Fehler zu verkennen und die ganze Schuld jetzt ein paar Personen wie Herrn Beck oder Frau Ypsilanti in die Schuhe zu schieben, ist einfach lächerlich. Wenn die SPD wieder Regierungschefs stellen will, muss sie die Wurzel des Übels offen benennen und umkehren. Alles andere arbeitet Merkel, Koch & Co. perfekt in die Hände.

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Heinrich Müller

  • H
    hinkitonk

    Seit wann ist es irrational, wenn man nicht mit einer Partei zusammenarbeiten will, die sehr viel Leid über Millionen von Menschen gebracht hat?

    Die Linkspartei ist die mehrfach umbenannte SED. Der Stasimitarbeiter der in die SED z.B. 1980 eintrat ist heute Mitglied der Linken.

     

    Die Kommentierungen über Roland Koch bei der taz sind zumeist doch auch eher emotional geprägt, aber der ist ja auch gegen doppelte Staatsangehörigkeit und kriminelle Ausländer.

     

    Jeder hat seine eigene Realität und eine entsprechende Rationalität.

  • H
    heiribido

    Mit Verlaub, nicht "ob sie wusste, was sie tut", sondern "was sie tat".