Kommentar Ypsilanti: Der schwarze Freitag
Mitschuld an Ypsilantis schwungvollem Scheitern hat auch die Bundes-SPD - denn die ist unfähig, ein rationales Verhältnis zur Linken zu entwickeln.
D er Schaden für die SPD scheint total zu sein. Erst hat Andrea Ypsilanti ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt, weil sie ihr Wahlversprechen brach und sich von der Linken tolerieren lassen wollte. Dann scheiterte sie jäh an Dagmar Metzger. Dieser Flop wirft die Frage auf, ob Ypsilanti wusste, was sie tut. Das Ergebnis legt nahe: Sie wusste es nicht. Hätte es noch schlimmer kommen können? Ja, wenn Metzger ihre offenbar erdrückende Gewissensnot erst am 5. April entdeckt hätte. Ein schwacher Trost.
Stefan Reinecke ist Meinungsredakteur der taz.
Es ist schwer zu sagen, ob dieses Fiasko nur auf Ypsilantis Konto geht oder ob die Konservativen in der SPD dabei tätige Mithilfe leisteten. Die Beteuerung des hessischen Vize-Fraktionschefs Jürgen Walter, dass die Fraktion sie geschlossen wählen würde, war jedenfalls nichts wert. Doch unter dem Strich steht: Ypsilanti hat ihren Ruf in kürzester Zeit schwungvoll zerstört. Daran ändert auch ihre bewunderswerte Fähigkeit nichts, noch vor rauchenden Trümmern integer zu wirken.
Die Gründe für Ypsilantis Scheitern liegen aber auch bei der Bundes-SPD, die unfähig ist, ein rationales Verhältnis zur Linkspartei zu entwickeln. Der Grundfehler war die 2007 von Kurt Beck verkündete Doktrin, dass die SPD nie mit der "sogenannten Linken" im Westen zusammenarbeiten werde. Damit bescherte er der Partei ein kaum lösbares Glaubwürdigkeitsproblem. Becks Versuch, den von ihm selbst verordneten Kurs zu korrigieren, kam zu spät und war auch noch höchst ungeschickt inszeniert. Kann es nun noch schlimmer kommen? Ja - wenn die SPD nun verschreckt zu ihrem "Nein" zur Linken zurückkehrt. Denn dann kann sich Hessen auch im Saarland und NRW wiederholen. So viel Lernblockade wäre ungewöhnlich - aber bei der SPD ist derzeit nichts ausgeschlossen.
Und in Hessen? Dort wird Roland Koch erstmal geschäftsführend im Amt bleiben. Wahrscheinlich wird er die Depression der SPD kalt nutzen und bei erster Gelegenheit Neuwahlen inszenieren. Dass Rot-Grün Koch nach diesem Laienschauspiel nochmal gefährlich werden kann, ist im Moment jedenfalls kaum vorstellbar.
Wer eine soziale, ökologische Republik will, für den war Freitag kein guter Tag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod