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Hustvedt, die RomantikerinWie alles mit allem zusammenhängt

Siri Hustvedt erzählt in ihrem Roman "Die Leiden eines Amerikaners" von den Verstrickungen von Kunst und Leben.

Zu den Herausforderungen von Siri Hustvedt zählt es, mit Etikettierungen nicht nur leben, sondern auch schreiben zu müssen: Hustvedt, die schöne Schriftstellerin. Hustvedt, die sanftmütige unter den amerikanischen Gegenwartsautoren. Vor allem natürlich: Hustvedt, die Frau von Paul Auster. Immerhin hat sie es unter diesen Voraussetzungen mit ihrem zuletzt erschienenen Roman, "Was ich liebte", zu einem Beststeller gebracht.

In ihrem neuen Roman, "Die Leiden eines Amerikaners", tut sie nun einiges dafür, ein anderes, wenngleich literaturgeschichtlich elaborierteres Etikett herauszustreichen: Hustvedt, die Romantikerin. Es ist ein Kinderspiel, das das allgegenwärtige Credo ihres Romans ins Bild setzt: Mit einer Schnur umwickelt ein Mädchen ein Möbelstück nach dem anderen, spannt die Fäden quer durch den Raum und hat das Wohnzimmer bald in ein kaum zu entwirrendes Netz verwandelt. "Das war meine Mission", stellt sie zufrieden fest: "alles zusammenbinden."

Dass alles mit allem zusammenhängt, war für die Romantiker der Schlüssel zu Welt- und Ich-Erkenntnis, und es war das poetologische Konzept, das ihrem Schreiben zugrunde lag. Die studierte Literaturwissenschaftlerin Hustvedt hat ihre Hausaufgaben gemacht. Ihr Roman strotzt nur so vor Zusammenhängen, Verweisen, Symbolen, Motivwiederholungen, und immer wieder ist es die romantische Trias von Leben, Kunst und Traum, an der dieses kosmologische Prinzip durchgespielt wird.

Da ist es fast schon ein wenig überraschend, dass Hustvedts Ich-Erzähler Erik, ein leidlich frustrierter Mittfünfziger, der nach seiner Scheidung allein in seinem New Yorker Haus lebt, eine relativ prosaische Figur abgibt. Dass alles mit allem zusammenhängt, weiß allerdings auch er. Nicht nur weil die Vernetzungsaktion der Möbel in seinem Wohnzimmer stattfindet. Er ist als Psychoanalytiker auch täglich damit beschäftigt, in den Lebensgeschichten seiner Patienten verschüttete Verbindungen freizulegen und neue zu schaffen. Während Erik sich nach dem Tod seines Vaters, angeregt durch dessen nachgelassene Tagebücher und Briefe, mehr und mehr auf Spurensuche in die eigenen Vergangenheit begibt und nach deren Verschaltungen mit der Gegenwart forscht, sind es zwei Nebenfiguren, die den eigentlichen Fluchtpunkt des Romans bilden.

Wie so häufig bei Hustvedt sind es zwei Künstlerfiguren mit manischen Tendenzen, an denen die romantische Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit diskutiert wird. Der eine, Max Blaustein, ist der verstorbene Mann von Eriks Schwester Inga, ein gefeierter Autor, der in seinen Romanen und Drehbüchern traum-, zuweilen albtraumgleiche Szenarien über die Angst vor Identitätsverlust variiert. Der andere, Lane, ist Fotograf, dessen ästhetisches Prinzip darin besteht, sein Leben durch eine akribische Dokumentation visuell zu verdoppeln. Gemeinsam ist beiden, dass sie die Trennlinie zwischen Kunst und Leben nicht nur unscharf werden, sondern beide Seiten miteinander verschmelzen lassen. Wie heillos diese Verstrickung ist, erfährt Inga nicht etwa, als sie feststellen muss, dass Max eine Affäre mit der Hauptdarstellerin einer seiner Filme hatte. Das soll vorkommen. Fataler ist der Moment, als sich herausstellt, dass Max Liebesbriefe an die Schauspielerin tatsächlich nicht an diese selbst, sondern an die Figur gerichtet sind, die er in seinem Drehbuch erfunden hat.

Für wen der Beteiligten diese Erkenntnis am schmerzvollsten ist, lässt sich schwer entscheiden. Hustvedt wählt eine kolportagehafte Auflösung dieser Episode, deren Komik allerdings eher unfreiwillig zustande zu kommen scheint. Erik wird in eine Hotelsuite geladen, wo seine Schwester eine Reihe von Personen, einschließlich der Schauspielerin und einer nach skandalträchtigen Storys suchenden Journalistin, versammelt hat. Die vermeintlich brisanten Liebesbriefe des toten Schriftstellers, mit denen die ehemalige Geliebte Druck auf Inga ausübt und von deren Verkauf sie sich eine schöne Finanzspritze erhofft, entpuppen sich als ebenjene Zeugnisse, die nur das tragische Verfangensein des Künstlers in seinem Werk beweisen.

Auch dieses Scheitern findet sich natürlich in den zahllosen Verweisungsnetzen wieder, die Hustvedt in ihrem Roman auslegt. So nimmt das symbolische Kinderspiel einen beinahe katastrophischen Ausgang, als das Mädchen über eine der Schnüre stürzt und derart schwere Kopfverletzungen erleidet, dass die Ärzte es nur mit Glück retten können. Jede Biografie und jedes Kunstwerk erlebt einen unvermuteten Bruch, einen Sturz, der alle Verhältnisse neu konfiguriert, alle Fäden neu ausspannt und den man fortan mit sich herumträgt.

Eine nachträgliche Pirouette zur Verbindung von Kunst und Leben schlägt Hustvedt in der Danksagung ihres Romans: Bei den zahlreichen in den Text einmontierten Tagebuchpassagen und Briefen von Eriks Vater handele es sich tatsächlich um - kaum redigierte - Aufzeichnungen ihres eigenen Vaters, der 2003 verstorben ist. Auch wenn diese Dokumente eine Art Schreibanlass für Hustvedts Roman darstellen mögen - als Zeugen für die Untrennbarkeit von Kunst und Leben eignen sie sich nur mäßig, zu unmotiviert stehen sie neben dem Rest des Romans, und zu unbedeutend ist am Ende das Geheimnis, auf dessen Spur Erik durch einen mysteriösen Brief gesetzt wird, durch den er das Leben des Vaters neu aufschlüsseln zu können glaubte.

Was für die Tagebuchpassagen gilt, trifft Hustvedts Roman auch insgesamt. Das metaphysische Credo einer allumfassenden Verknüpftheit will nicht zur behäbigen Konstruktion des Ganzen passen, die den romantischen Zettelkasten zwar rascheln lässt, dabei aber die wesentliche Zutat der Romantiker vergisst: den Rausch. Es hätte dem Roman gutgetan, wenn Hustvedt den nicht nur ihren beiden Künstlerfiguren angedichtet, sondern etwas davon auch ihrem Erzählen selbst beigegeben hätte.

Siri Hustvedt: "Die Leiden eines Amerikaners". Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Getraude Krueger. Rowohlt, Reinbek 2008, 416 Seiten, 19,90 Euro

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