Kolumne Wechseljahr 2008: Bei Anruf Clinton

Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation.

Es geht längst nicht mehr um die Wirklichkeit. Es geht um Wahrnehmungen. Wer kann sie besser steuern? Wer kann die Fakten effektiver bearbeiten? Wie hat Hillary Clinton es eigentlich geschafft, wieder die Stehauffrau zu werden? Ein Versuch nach dem andern schlug vorerst fehl. Kein Pfeil schien Barack Obama zu treffen. Immer wieder pochte sie auf seine "Unerfahrenheit". Und er konterte, es ginge um das gute Urteilsvermögen. Und just das hätte Clinton bei der wichtigsten außenpolitischen Entscheidung des letzten Jahrzehnts - ob die USA gegen den Irak in den Krieg ziehen sollten - eben nicht gezeigt. Denn sie hatte für den Krieg gestimmt. Die Eigendynamik seiner Kampagne schien unaufhaltsam.

Dann wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt. Ein Meinungsmacher in der New York Times offerierte hilfreich die These, gerade Clintons Flexibilität - erst für den Krieg, dann dagegen - sei nicht Zeichen von Labilität und Opportunismus, sondern von Reife. Und genau diese Kapazität, sich den veränderten Umständen anzupassen, fehlte dem unmündigen, sich an rigorose Prinzipien klammernden Obama.

Dann kamen die Wahlkämpfe in Ohio und Texas. Im Fernsehen sah man einen verarmten demokratischen Arbeiter, der von einem Reporter befragt wurde, für wen er stimmen würde. Der Mann war offensichtlich zutiefst verunsichert. Obama wahrscheinlich, sagte er. Doch er hatte Bedenken. Obama würde die Bibel nicht ehren, er wäre wohl Muslim. Das sei unwahr, versicherte der Reporter. Verwirrt meinte der Mann: Aber man hätte ihm das erzählt. Hillary Clinton, daraufhin befragt, ob Obama Muslim sei, sagte unverfroren doppeldeutig: "Nein … soweit ich weiß."

Nichts aber war effektiver als der Fernsehspot, der in Texas lief. "Es ist drei Uhr morgens und Ihre Kinder sind sicher und schlafen. Aber im Weißen Haus klingelt ein Telefon. Etwas passiert in der Welt. Ihre Stimme wird entscheiden, wer diesen Anruf annimmt." Die intendierte Botschaft war klar. Es muss jemand sein, der "die Führungskräfte in der Welt schon kennt, das Militär kennt" und "bereit ist, in einer gefährlichen Welt die Führung zu übernehmen". Hillary Clinton geht ans Telefon.

Subtiler, aber nicht weniger effektiv war der Subtext. Das erste schlafende Kind: ein blondes Mädchen. Dann Kinder, die womöglich etwas latino aussahen. Dann eine weiße Mutter. Wie der Harvard-Soziologe Orlando Patterson anmerkte, hatte Clinton offensichtlich keine Bedenken, sie könnte des Rassismus bezichtigt werden, sonst hätte sie ganz einfach ein afroamerikanisches Kind oder Elternteil in den Spot aufgenommen. Aber dann hätte er seinen eigentlichen Sinn verfehlt. Denn Clinton hatte auf einen der unschönsten amerikanischen Urreflexe gesetzt: Angst vor dem schwarzen Mann. Der dürfe auf keinen Fall an ein so wichtiges Telefon gehen.

Bevor diese Werbung lief, waren weiße Wähler ziemlich gleichmäßig zwischen den zwei demokratischen Lagern verteilt. Seitdem - nicht nur in Texas, auch zuletzt in Mississippi - laufen weiße Wähler zu hohen Prozentsätzen zu Clinton über.

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