Landespolitik: Aus für Mindestlöhne
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist ein heftiger Schlag für Rot-Rot: Dessen Lieblingsprojekt, der Mindestlohn bei allen öffentlichen Aufträgen, steht vor dem Aus.
Die schlechte Nachricht kam für Rot-Rot überraschend: Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) darf die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht an die Zahlung ortsüblicher Tariflöhne geknüpft werden. Nun droht auch dem erst Mitte März ausgeweiteten Vergabegesetz von Berlin ein frühes Ende. Darin verpflichtet der Senat Unternehmen dazu, eigenen Mitarbeitern und denen von Subunternehmern einen Stundenlohn von mindestens 7 Euro 50 zu zahlen. Wie der Senat künftig Lohndumping verhindern kann, ist wieder ungewiss.
Die Entscheidung der Luxemburger Richter besagt offiziell zwar nur, dass das niedersächsische Vergabegesetz den Vorgaben des Entsendegesetzes der EU widerspricht. Doch das Urteil könnte beispielhaft werden für die Tariftreuegesetze in acht weiteren Bundesländern - auch für jenes in Berlin.
Die Linkspartei, die sich besonders stark für den Mindestlohn von 7 Euro 50 eingesetzt hatte, zeigte sich empört: Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs sei "ein politischer Skandal", erklärte der Linkspartei-Vorsitzende Klaus Lederer. Hinter dem Richterschluss vermutet er "marktradikale Ordnungsvorstellungen" von EU-Kommission und Gerichtshof. Nun seien womöglich "wichtige Schritte" des Senats "zur Unterbindung von Dumpinglöhnen und prekärer Beschäftigung" in Gefahr, so Lederer. "Bis auf weiteres wird der Senat das vor kurzem beschlossene Vergabegesetz anwenden." Bislang wisse er von keinem Versuch, das Gesetz in Luxemburg prüfen zu lassen.
Die EuGH-Entscheidung traf viele Beobachter unvorbereitet. Erst 2006 hatte das Bundesverfassungsgericht das Berliner Vergabegesetz, das Tarifbindung vorschreibt, gebilligt. Dem widersprach nun das Luxemburger Gericht. Öffentliche Auftraggeber könnten nur verlangen, dass ausländische Unternehmen einen national festgesetzten Mindestlohns zahlen. Firmen müssten aber keinen Tarifvertrag einhalten, wenn dieser nicht allgemeinverbindlich ist.
Hier bietet sich Rot-Rot ein Schlupfloch. Denn in den ostdeutschen Ländern gibt es insgesamt 176 allgemeinverbindliche Tarifverträge - beim Garten- und Landschaftsbau, im Gerüstbau oder beim Wach- und Sicherheitsgewerbe. Hier dürfen die Kommunen weiter Tariftreue forden.
Einen Millionenschaden sieht die FDP auf Berlin zurollen. "Es ist zu erwarten, dass zahlreiche Auftragsvergaben erfolgreich angefochten werden und es damit zu langwierigen Neuausschreibungen kommen wird", urteilt Fraktionschef Martin Lindner. Der Regierende Bürgermeister müsse jetzt erklären, wie beispielsweise der reibungslose Bau des Flughafens Berlin Brandenburg International (BBI) gelingen könne.
Für die Abgeordnetenhaus-Sitzung am kommenden Donnerstag hat Lindner daher eine Aktuelle Stunde beantragt. Unisono klagen FDP und CDU, der Senat habe ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit des neuen Vergabegesetzes immer wieder ignoriert.
Die EuGH-Entscheidung könnte auch Folgen für die Senatshaltung zum EU-Grundlagenvertrag haben. Den Nachfolger des EU-Verfassungsentwurfs wird der Bundesrat am 23. Mai ratifizieren. Die Linkspartei-Bundesspitze fordert seit Monaten, Berlins Genossen sollten ein Ja von Rot-Rot verhindern. Dieser Druck nimmt nun weiter zu.
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