Machterhalt für Hessens Landeschef: Koch bleibt sitzen
Hessens Ministerpräsident will am Samstag offiziell zurücktreten - und bleibt im Amt. Seine Strategie: Für ein Jahr regiert er geschäftsführend weiter und wirbt nebenher für Jamaika.
Alles ist neu im Lande Hessen. Wenn an diesem Samstag der neue Landtag mit vielen neuen Abgeordneten und einer neuen Fraktion (Die Linke) im neuen Plenarsaal des neuen Landtagsgebäudes zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommt, wird auch ein neues Landtagspräsidium gewählt werden. Bis zuletzt allerdings gab es noch Streit über die Anzahl der neuen Vizepräsidenten, respektive um die mit dieser Position verbundenen alten Privilegien: neue Dienstwagen und mehr Geld. Nur die hessische Landesregierung bleibt ganz die alte, weil sie geschäftsführend weiter im Amt sein wird.
Zwar schreibt Artikel 113 Landesverfassung vor, dass Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und seine um zwei Minister reduzierte Regierungsmannschaft, der nach dem Rücktritt von Kultusministerin Karin Wolff mit Sozialministerin Silke Lautenschläger nur noch eine Frau angehört, zwar zunächst geschlossen zurücktreten muss. Weil sich danach aber weder Koch noch seine Herausforderin bei den Landtagswahlen, Andrea Ypsilanti (SPD), unter dem Tagesordnungspunkt "Wahl eines neuen Ministerpräsidenten" dem geheimen Votum der 110 Landtagsabgeordneten stellen werden, bleibt die bisherige Landesregierung geschäftsführend im Amt. Das Vorgehen allerdings diktiert ihm dann das Parlament mit seiner rechnerischen linken Mehrheit. Koch erklärte bereits, sich daran halten zu wollen. Sogar die Abschaffung der umstrittenen Studiengebühren will die geschäftsführende Landesregierung nicht blockieren, falls der Landtag einen entsprechenden Beschluss fassen sollte. Bereits am Mittwoch nächster Woche steht ein gemeinsamer Gesetzentwurf von SPD und Grünen dazu auf der Tagesordnung der ersten Arbeitssitzung des Landtages nach der Konstituierung.
Weil das geschäftsführende Regieren unter diesen Umständen keinen großen Spaß macht, will Koch damit auch nach maximal einem Jahr wieder aufhören. Man müsse in einem Jahr "in einer anderen Lage sein", fordert Koch. Der Ministerpräsident und seine Unionisten werben deshalb seit Wochen bei den Grünen für eine gemeinsame Reise nach Jamaika. Auf einmal loben Koch und sein Finanzminister Karlheinz Weimar die zuvor dämonisierten Grünen. Sie würden in der Bildungs- und Finanzpolitik "vernünftige und realistische Auffassungen vertreten". Und selbst Unionsfraktionschef Christean Wagner, ein passionierter Grünen-Kritiker, will aktuell auf die Grünen zugehen. Differenzen in der Energie- und Verkehrspolitik könnten mit dem Verweis auf die Kompetenzen des Bundes etwa in der Atompolitik oder auf den abgeschlossenen Genehmigungsprozess beim umstrittenen Flughafenausbau doch ausgeklammert werden. Es müsse jetzt darum gehen, "durch eine gemeinsame Sachpolitik eine Atmosphäre zu schaffen, in der es irgendwann zur Aufnahme von förmlichen Gesprächen kommen kann".
Wenigstens über den Etat 2009. Da braucht Koch mehrheitsfähige politische Vorgaben, sonst droht die geschäftsführende Regierung noch vor der avisierten Zeit zu scheitern.
Den Grünen sind die Lobeshymnen eher peinlich. Doch das unionistische Werben um die Grünen wird weitergehen; eine Alternative dazu gibt es für Koch nicht. Die große Koalition nämlich hat er in Reaktion auf die Beschlüsse der SPD inzwischen ebenso ausgeschlossen, wie es die Sozialdemokraten schon längst getan haben. Die SPD allerdings steckt in einem ähnlichen Dilemma. Nur mit Hilfe der Grünen und der Linken kann Ypsilanti Ministerpräsidentin werden und den Regierungswechsel erzwingen, denn eine Ampelkoalition wird es "in dieser Legislaturperiode in Hessen nicht mehr geben", so FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn bestimmt. Für dieses Projekt allerdings braucht Ypsilanti im Landtag nach wie vor alle Stimmen aus dem linken Lager, insbesondere die aus ihrem eigenen. Danach aber sieht es nicht aus. Also Neuwahlen in Hessen in einem Jahr? Darauf scheint es hinauszulaufen.
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