Prozess-Auftakt: Kein Vergleich mit der Telekom
Der Mammutprozess gegen den Bonner Konzern bietet enttäuschten Volksaktionären die Chance, ihre Geschichten zu erzählen. Vor allem wollen sie mehr Opfer als Zocker sein.
FRANKFURT taz Sind es alles Zocker, die da auf der Klageseite sitzen? Na klar, meint die Deutsche Telekom. Wer im Jahr 2000 in den dritten Börsengang des Exmonopolisten investiert habe, habe - geblendet von den rasanten Kurssteigerungen in der New Economy - "nur den großen Reibach machen" wollen.
17.000 Kleinanleger sehen sich jedoch nicht als "risikobereite Spekulanten". Sie haben die Telekom AG verklagt und verlangen rund 80 Millionen Euro Schadenersatz dafür, dass sie mit angeblich falschen Aussagen im Börsenprospekt zum Aktienkauf verleitet wurden. Einige von ihnen sind zum Auftakt des größten deutschen Anlegerprozesses nach Frankfurt am Main gekommen, der am Montag begann.
Da ist zum Beispiel die Rentnerin im verschlissenen Nerz, die den Weg ins Foyer des Saalbaus im Frankfurter Stadtteil Bornheim gefunden hat, in das das Oberlandesgericht den Prozess wegen des erwarteten Massenansturms von Anwälten und Klägern verlegt hatte. Sie steckte 10.000 Deutsche Mark in die T-Aktien. Damals kosteten sie umgerechnet 66,50 Euro, heute sind sie noch knapp 11 Euro wert. Die Telekom habe ihr unter Vorspiegelung falscher Tatsachen das Geld aus der Tasche gezogen, jammert die Frau.
Und auch der inzwischen arbeitslose Polier aus dem Westfälischen, der inzwischen von Hartz IV leben muss, fühlt sich im Nachhinein "hereingelegt". "Ein paar tausend Märker" habe er nicht zuletzt wegen der "seriös wirkenden Werbung sogar von ,Tatort'-Kommissaren" in T-Aktien investiert. Warum er nicht verkauft habe, als die Aktie nach der Euroeinführung mit mehr als 100 Euro notierte? "Ich dachte, es geht noch weiter bergauf", sagt der Polier. In den Jahren zuvor seien die T-Aktien doch auch "gelaufen wie die Karnickel".
Die Strategie der Telekom setzt darauf, dass die Kläger selbst schuld sind: Sie seien zu gierig gewesen. Oder auch zu unbedarft. Börsenprospekte, die jetzt moniert würden, oder die angeblich falsche Bewertung von Immobilien hätten diese Leute damals überhaupt nicht interessiert, meinte ein Prozessvertreter vor Verhandlungsbeginn.
Für den Anwalt des einen Musterklägers, dessen Mandant anonym bleiben will, ist dieses Verteidigungskonzept "ein Akt schierer Verzweiflung". Es diene nur dazu, von den "fehlerhaften Buchwerten" für Immobilien im Anlegerprospekt der Telekom abzulenken, sagt der Tübinger Advokat Andreas Tilp. Auch dem konkreten Vorwurf, den Aktionären damals verschwiegen zu haben, dass ihr Geld für den Erwerb des US-Handybetreibers VoiceStream benötigt wurde, stelle sich das Unternehmen bis heute nicht. Dabei war der Einkauf eine verlustreiche Akquisition, wie sich nur Monate später gezeigt habe.
Auch Rechtsanwalt Peter Kühn aus Wiesbaden, der 6.500 Kläger vertritt, wirft der Telekom vor, den Anlegewilligen den "Deal mit VoiceStream verschwiegen" zu haben. Am Ende nämlich habe der Konzern in den USA gut 50 Milliarden Euro verbrannt. Dass das Gericht schon im Vorfeld des Prozesses hatte verlautbaren lassen, sich im Rahmen der Beweisaufnahme explizit mit dem "Fall VoiceStream" zu befassen, könne er deshalb nur begrüßen. Und auch den erneuten Versuch seines Kollegen Tilp, die Telekom zu einem Vergleich mit den Aktionären zu bewegen. Schließlich habe die Deutsche Telekom Anleger in den USA in einem ähnlichen Fall mit insgesamt 120 Millionen Euro entschädigt.
Gleich zu Prozessbeginn allerdings lehnten die Anwälte der Telekom einen Vergleich schroff ab - angeblich aus Gründen der Gleichbehandlung. Rund 3.000 Aktionäre hätten schließlich nicht geklagt.
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