Das Ansehen der Azubis: Berufsausbildung in der Krise

Ähnlich in Deutschland und Frankreich: Bildungsverlierer werden zu oft abgeschrieben, das Erlernen eines Berufs ist für Teenies nur zweite Wahl. Akademisierung allein keine Lösung.

Oft nur zweite Klasse: jugendliche Auszubildende. Bild: dpa

Sie war zuvor noch nie im Ausland gewesen. Aber nun der erste Aufenthalt in der Nähe von Bordeaux. Sprachen lernen und in einem Alterspflegeheim arbeiten. Als Lena* aus dem französischen Gradignan nach Schwerin zurückkam, schrieb sie auf: "Ich habe gemerkt, dass ich auch in neuen, ungewohnten Situationen nicht die Kontrolle verliere", so vermerkte es die 19-Jährige in einem Bilanzbogen.

Nicht die Nerven zu verlieren, zu bemerken, dass sie etwas zählt und etwas kann, ist für Lena und ihre KollegInnen, die mit in dem Austausch waren, etwas Ungewöhnliches. In der außerbetrieblichen Ausbildung sind junge Leute, die - wie es heißt - "schwer vermittelbar" sind. Sie haben die Schule abgebrochen oder kommen aus schwierigen Familien oder beides. Nun erlernen sie in der Schweriner Bildungswerkstatt den Beruf der Hauswirtschafterin.

Das kleine Pilotprojekt in Schwerin gehört zu dem einigermaßen verzweifelten Versuch, in Frankreich und Deutschland die in die Krise geratene Berufsausbildung zu verändern. Das gilt für alle Jugendlichen, besonders aber für die Risikoschüler, jene Teenies also, die mit schlechten Kompetenzen oder ohne Abschluss aus der Schule kommen.

Den Masterplan für die nicht gebrauchte Jugend hat auch eine deutsch-französischer Journalistengruppe in Paris und Berlin nicht gefunden. In Frankreich zählt die Berufsausbildung traditionell wenig, besonders die Apprentissage genannte duale Ausbildung in Unternehmen hat den Hautgout der Ausbeutung. Wer etwa werden will, so das Motto in Frankreich, versucht, den Weg an eine der vielen Hoch- oder Fachschulen einzuschlagen - und das tun 73 Prozent der jungen Leute.

In Deutschland ist die Situation anders. Hier hat die Berufsausbildung einen guten Ruf - noch. Allerdings trüben die hunderttausenden Teenies in den Warteschleifen des Übergangssystems die Stimmung. "Der Begriff Warteschleife beschönigt die Situation ja noch", sagte Bent Paulsen vom Bundesinstitut für Berufsbildung, "denn Flugzeuge, die eine Warteschleife fliegen, landen nach einer oder zwei Runden sicher am Boden. Bei den Jugendlichen ist das alles andere als sicher."

Um sich gegenseitig kennenzulernen und zu beraten, diesem Ziel dient der Austausch von Journalisten und Bildungsexperten, den das Deutsche-Französische Jugendwerk, die Stiftung Genshagen sowie die Bosch-Stiftung organisieren. Auf dem Gebiet der Berufsausbildung ist das aber alles andere als leicht. Vielleicht könnten Gebiete in Ostdeutschland, wo es praktisch keine duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule mehr gibt, von den staatlichen Berufsschulzentren der Franzosen lernen. Aber schon bei der stärkeren Akademisierung à la Frankreich schrillen in Deutschland die Alarmglocken. "Wir müssen aufpassen, dass unsere professionelle Berufsausbildung nicht unter die Räder kommt, wenn alle Jugendlichen nur noch an die Hochschulen streben", sagte Roland Matzdorf vom Ministerium für Arbeit und Soziales in Nordrhein-Westfalen. "Die Berufsausbildung darf nicht das Image bekommen, dass sie das Auffangbecken für Gescheiterte ist."

Das Deutsch-Französische Jugendwerk hat nun einen ersten Schritt dahin getan. Es fördert Benachteiligte, damit sie im Nachbarland andere Erfahrungen machen können. "Wir dürfen nicht nur Hochbegabte und Gymnasiasten nach Frankreich schicken, sondern müssen uns um Reisefreudige aus allen Ebenen des Bildungssystems kümmer", sagte die Generalsekretärin des Jugendwerks, Eva-Sabine Kuntz. Allerdings, das Engagement beschränkt sich bislang auf ganz kleine Zahlen. Zusammen mit Lena gingen rund 80 Jugendliche auf Frankreichtour, darunter neun junge Frauen in dem Schweriner Projekt.

"Viele von diesen jungen Frauen sind geradezu gefangen in ihren familiären Strukturen", erzählt Jürgen Lewerenz, Projektleiter der Bildungswerkstatt Schwerin. "Man hat ihnen jahrelang gesagt, dass sie die schlechteren sind." In dem achtwöchigen Aufenthalt in Frankreich lernen sie, sich selbst zu organisieren. Eigentlich sind sie sogar gezwungen. Denn einfach nach Hause fahren von Bordeaux nach Schwerin ist nicht möglich. "Es war das letzte Mal, dass ich so lange von meiner Familie getrennt war", sagt Lena. "ich bin selbstständiger geworden."

* Name von der Redaktion geändert

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