Streit um Grundschuldauer: Sechs Jahre oder nicht

Eine Berliner Studie kommt zu dem Schluss, dass sechs Jahre Grundschule den Begabten schaden. In Hamburg steuern CDU und Grüne darauf zu. Wer hat Recht?

Vier Jahre? Oder sechs? Diesen angehenden Grundschülerinnen mag das am Tag ihrer Einschulung noch egal sein. : ap

BERLIN taz Noch vor ihrer Veröffentlichung entfacht eine Studie die Debatte über die Verlängerung der Grundschulzeit neu. Denn eine solche Verlängerung planen gerade CDU und Grüne für Hamburg.

Für die Studie hat der Berliner Bildungsforscher Rainer Lehmann die Leistungen von fast 5.000 Berliner SchülerInnen untersucht. In Berlin gehen Kinder in der Regel bis zur sechsten Klasse auf die Grundschule, es besteht jedoch auch die Möglichkeit, schon nach der vierten Klasse auf so genannte grundständige Gymnasien zu wechseln. Diese beiden Gruppen hat Lehmann verglichen. Das Ergebnis: Insbesondere leistungsstarke Kinder lernen auf dem Gymnasium schneller als diejenigen, die an den Grundschulen bleiben.

Studienautor Lehmann möchte sich nicht konkret zu den Ergebnissen äußern, da die Studie erst am Montag dem Berliner Senat überreicht wird. Der taz sagte er aber: "Ich halte die derzeitige Diskussion über die Verlängerung der Grundschulzeit für verfehlt. Insbesondere wenn sich die davon erhofften Resultate nicht belegen lassen." Er könne verstehen, dass Berliner Eltern ihre Kinder zunehmend nach der vierten Klasse auf die Gymnasien schickten. Laut Statistik hat sich diese Zahl in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.

Die Studie bringt auch neuen Zündstoff in die schwarz-grünen Koalitionsgespräche in Hamburg: Union und Grüne haben sich dort neben der Abschaffung der Hauptschule auf eine Verlängerung der Grundschulzeit von vier auf sechs Jahre geeinigt, was insbesondere von konservativen CDUlern kritisiert wurde. Das Vorhaben solle noch einmal überdacht werden, rät Lehmann.

Eine Einschätzung, die andere Bildungsforscher nicht teilen. "Im internationalen Vergleich wird nirgendwo so früh selektiert wie in Deutschland", sagte der Schweizer Bildungsforscher Jürgen Oelkers. "Das deutsche Schulsystem ist eine Anomalie."

Die Berliner Ergebnisse hält er für "wenig überraschend". Wenn Eltern die Möglichkeit hätten, ihre Kinder früher aufs Gymnasium zu schicken, sei es kein Wunder, dass dort die Leistungsstärkeren landeten. Die Schule müsse aber sowohl starke als auch schwache Schüler fördern. Und das gelinge mit einer längeren gemeinsamen Grundschulzeit besser. Er unterstützt deshalb das Vorhaben in Hamburg, die Grundschule um zwei Jahre zu verlängern. Dies entspreche dem Schweizer System. "Und hier klagt niemand darüber."

Am Mittwoch hatte die Industrieländer-Organisation OECD Deutschland aufgefordert, die frühe Aufteilung auf Hauptschule, Realschule und Gymnasium zu ändern. Dies hatte bei Unions-Kultusministern zum Teil Empörung ausgelöst.

Entscheidend wird in Hamburg sein, wie die Grundschulen mit den weiterführenden Schulen verzahnt werden. Dafür wird es mehrere Varianten geben. Bei einer würden die Grundschulen an die Gymnasien oder Stadteilschulen angegliedert.

Der Dortmunder Bildungsforscher Wilfried Bos hält die ganze Debatte um vier oder sechs Jahre Grundschule für falsch. "Ob man nach der vierten oder der sechsten Klasse aufteilt, ist egal", sagte er. "Der Fehler bei der Aufteilung in weiterführende Schulen ist derselbe." Seiner Meinung nach sollten alle Schüler bis zur neunten Klasse gemeinsam lernen - das hatten die Grünen in Hamburg ursprünglich vorgeschlagen. Gleichwohl weiß aber auch Bos: "Das ist politisch nicht durchsetzbar."

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