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Vier oder sechs Jahre?Der Grundschulkrampf

Kommentar von Christian Füller

Die Zündelei des Schulforschers Lehmann hat sich gelohnt: Der Zoff, ob Arztkinder überhaupt mit Hartz-IV-Kindern zusammen lernen können, ist voll entbrannt.

Die Furcht vor der langen Grundschule flammt wieder auf: Wie lange sollen Kinder künftig in der Grundschule lernen? Bild: dpa

N eulich auf einer Elternliste: "Ich bin schockiert über das, was Schwarz-Grün da gerade in Hamburg vorhat", schreibt eine Mutter von zwei Kindern, in Hamburg lebend. "6 Jahre Grundschule hat in Berlin schon nicht geklappt, und nun will man den gleichen Fehler in Hamburg begehen?" Und ein unbedarfter Vater antwortet: "Wie, dann entscheiden ganz allein die Lehrer, auf welche weiterführende Schule mein Kind nach sechs Jahren geht?" Empörung macht sich breit in der Hansestadt.

Und auch unter Berlinern flammt die Furcht vor der langen Grundschule wieder auf. Auf Elternlisten fühlt man sich bestätigt in dem, "was eigentlich jeder weiß, nur einige nicht wahrhaben wollen" - dass die fünften und sechsten Grundschulklassen in Berlin nicht funktionieren. Prompt hat der Vorsitzende des Landeselternausschusses, André Schindler, eine Initiative zur Abschaffung der sechsjährigen Grundschule gestartet. Natürlich hat Schindler das listiger formuliert - denn die Elternschaft ist tief gespalten bei diesem Thema. Es gebe zu viele unterschiedliche Eingangsklassen bei Gymnasien, bemängelte Schindler. Auf Deutsch: Das muss vereinfacht und vereinheitlicht werden.

Die Zündelei des Professor Rainer Lehmann hat sich also gelohnt. Er ist der Vater des neuen Grundschulkrampfs. In mehreren Interviews sagte der Berliner Schulforscher: Die Erwartungen an das längere gemeinsame Lernen in den Grundschulen hätten sich nicht erfüllt. Gymnasiale Sechstklässler stünden nach zwei Jahren Gymi besser da als ihre Vergleichsgruppe aus der Grundschule. Zudem schlage die soziale Abhängigkeit der Leistungen dort stärker zu Buche. Und so wird als Gesetz genommen, was Rainer Lehmann erzählt. Die Zeit verkündet auf dem Titel, "Experiment gescheitert".

Das Problem Lehmanns, der in der Szene durchaus anerkannt ist: Wer seine am späten Montag Nachmittag veröffentlichte Studie ansieht, kommt zu ganz anderen Schlüssen als Lehmann selbst. Exzellente Forscher hatten bereits vorher gewarnt: Was der Mann sagt, ist durch das, was er schreibt, gar nicht gedeckt. So stellt Lehmann nun fest, dass in Berlin der Übergang in die fünften Gymnasialklassen durch eine extreme "Selbstselektion" der Eltern bestimmt wird. In Berlin dauert die Grundschule normalerweise sechs Jahre - wer sein Kind dort nach der vierten herausnimmt, gehört zu den besonders Bildungsbeflissenen.

Damit bestätigt Lehmann einen Befund aus seinem Zwischenbericht der Studie aus dem Jahr 2003: Die Gymnasiasten haben sich bereits nach einem Tag in der fünften Klasse ihrer neuen Schule abgesetzt - ohne auch nur eine Minute dort gelernt zu haben. Über Nacht, also mit dem Wechsel ins Gymnasium, haben 10-jährige Pennäler plötzlich einen Lernvorsprung von gut zwei Jahren. Von da ab, so das Ergebnis der druckfrischen Studie, geht es an Gymnasium und Grundschule relativ gut bergauf. Mit einem Unterschied: Die Grundschule fördert besonders das untere Leistungssegment; das Gymnasium verschafft allen Schülern Wissenszuwachs.

Was die Forscher und Eltern mit der sechsjährigen Grundschule so treiben, ist überhaupt nicht neu. In den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es eine regelrechte Schlacht um die Grundschule. Die höheren Schichten, die ihre Kinder von jeher aufs Gymnasium schickten, mieden tunlichst die mit 60 Kindern überladenen Volksschulen. Die Kinder der feinen Leute lernten an eigenen gymnasialen Vorschulen oder mit Privatlehrern in Vorbereitungszirkeln. Und als die SPD damals auf die Idee kam, eine gemeinsame Grundschule zu fordern, wurde mit allem gekämpft, was möglich war. Die feine Variante war, maliziös festzustellen, dass die Politik bestimmten Kindern die beste Förderung vorenthalte - indem man sie in überfüllte Volksschulen zwinge. Die grobe Variante hieß schlicht, eine Grundschule für alle sei das Werk der Novemberverbrecher.

Heute haben sich die Varianten vereinfacht. Das Grobe und das Feine kommen zusammen. Etwa in einem Satz von Rainer Lehmann. Um seine Aussagen zu illustrieren, äußerte er gerade Folgendes: "Plakativ gesagt, bleiben Arzt-Kinder, die mit Hartz-IV-Kindern lernen, in ihren Lernerfolgen hinter Arzt-Kindern, die direkt aufs Gymnasium wechseln, zurück."

Auch für so einen Satz muss man kein Forscher sein, sondern ein schlichter Sozialrassist. Jemand, der Hartz-IV-Schulen cool findet, in denen Kinder eine reduzierten Lehrplan und geminderte Lebenschancen bekommen. Oder sich erinnern an das, was man früher hören konnte: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern und lern nicht mit ihnen. Der Krampf geht weiter.

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2 Kommentare

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  • K
    Katharina

    Danke, danke, danke, lieber Herr Füller für diesen hervorragenden und scharfzüngigen Artikel! Ich hätte das Kind nicht besser beim Namen nennen können: Sozialrassismus.

    Ich könnte mich ständig übergeben ob dieser ekelhaften Äußerungen, die "Schulforscher" wie Lehmann oder sonstige vor den Karren des Gymnasialschul-Klüngels gespannte sog. "Wissenschaftler" von sich geben, wenn - ja, wenn da nicht solche Artikel wie der Ihre mich retten würden.

  • RG
    Reinhard Gottorf

    Super, Herr Füller. Endlich mal wieder jemand, der das, was auch in der Schul- und Bildungsdebatte abgeht, beim Namen nennt: Sozialrassismus. Mir fällt dabei noch eine andere Titulierung ein, die ist jedoch historisch belastet und könnte zu Missverständnissen führen. Als bekennendem Volksschüler,Jahrgang 1948, ist mir immer klar gewesen, Bildungspolitik war, ist und wird immer Gesellschaftspolitik allererster Güte sein.

    Auf keinem Feld der Politik wird die Auseinandersetzung zwischen den Herrschenden und den Beherrschten so hart und verbissen geführt, wie auf diesem Feld. Hier geht es um eine der Grundfesten der gesellschaftlichen Ordnung. Jeder Ansatz einer Reform dieses Bildungssystems in Deutschland (West) wurde sofort zu einem Glaubenskrieg.

    In den 60er und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde jeder Ansatz einer Reform von den Konservativ-Reaktionären in Westdeutschland, wie heute, mit Hilfe geneigter Medien und Expertisen verhindert. Niedergang der Kultur, Nivellierung und, neuerdings, Nachteile in der Globalisierung (was immer das auch heißt). Die Kinder der Inder werden schlauer wie die Kinder des deutschen Bürgertums.

    Ja, jetzt ist es die Grundschule.

    6 Jahre, nein, dass sind ja zwei verlorene Jahre für die Kinder der Eliten oder derer, die sich dafür halten. Es reichen doch schon die 4 Jahre, die man gezwungen ist, mit den Abkömmlingen des Pöbels eine gemeinsamen Schule zu besuchen. Nein, die zukünftige Generation derer, die in dieser Gesellschaft Verantwortung übernehmen soll, muss möglichst schnell unter sich bleiben. Ja, den diese Gesellschaft ist ein Produkt des Bildungssystems und der Bildungsinhalte, die auf den Schulen vermittelt werden.

    Diese Gesellschaft ist das Ergebnis der Herrschaft der Eliten, ohne wenn und aber. Es sind die Eliten, die herrschen und die Verantwortung für den Zustand dieser Gesellschaft und ihres Umfeldes haben. Sie wollen, dass alles so bleibt wie es ist. Da ist Bildungspolitik, da sind die Fragen der Bildungsinhalte und die Frage der Schulformen natürlich von entscheidender Bedeutung. Wenn der Pöbel unter sich bleibt, wird er immer seine Ziele über sich und die Feinde neben sich sehen. Das soll so bleiben. Daher die Forderung nach Hartz IV Schulen.

     

    Ja, ich fürchte, sie werden weiter obsiegen. Sie werden weiter dafür sorgen, dass wieder und wieder eine weiter Generation von intelligenten, kreativen, wertvollen Menschen nur auf Grund ihrer sozialen Herkunft wegen auf das Abstellgleis geschoben wird. Wenn nichts getan wird oder nur weiter an den Symptomen herum Gedocktort wird, dann sollten sich die Verantwortlichen warm anziehen.

    Oh nein, sie sollten nicht glauben, dass sie so billig davon kommen. Diese Gesellschaft wird nicht nur am Klimawandel ersticken. Sie wird an dieser Problematik ersticken. Schickt weiter eine Generation nach der anderen auf den gesellschaftlichen Müllhaufen. Schickt weiter eure Kinder auf private, reformorientierte, leistungsfähige, da migrantenfreie Schulen. Verhindert weiter das gemeinsame lernen in Gemeinschaftsschulen.

    Überlasst die Verlierer sich selbst. Wie im Großen, so auch im Kleinen, die Etablierten, die Wohlhabenden, die ?Eliten? werden sich einmauern müssen. Draußen, da braut sich was zusammen. Die Seeräuberjenny aus der 3 Groschen Oper hat es besungen: ?Und ein Schiff mit acht Segeln und 50 Kanonen wird liegen am Kai.? Und der Text geht noch weiter, aber ich will mich ja nicht um meine Rente bringen. Aber eines ist auch gewiss, sollte ich es noch erleben, dann werde ich auf mit Freuden ?Hoppla? sagen.